Ich hab das Wort vergessen, das ich sagen wollte.
Ins Schloss der Schatten kehrt die Schwalbe blind zurück
Zerschnittnen Flügels, mit den Durchsichtigen zu spielen.
Im Nichterinnern singt man ein nächtliches Lied.
Die Vögel unhörbar. Die Immortelle blüht nicht.
Die Mähnen durchsichtig der Abendherde dort.
Ein leerer Nachen schwimmt auf trockenen Flüssen.
Unter Heuschrecken tobt erinnerungslos das Wort.
Und wächst sacht an, als wär es Zeltdach oder Kirche
Stößt jäh als wahnsinnige Antigone vorbei
Und stürzt als tote Schwalbe sich zu Füßen
Mit stygischer Zärtlichkeit und einem grünen Zweig.
O brächte man die Scham der sehenden Finger wieder
Und des Erkennens aufgewölbte Freude.
Ich fürchte so die Klage-Aoniden
Den Nebel und das Klaffen und das Läuten.
Doch Sterblichen ist Macht zu lieben und zu wissen
Für sie ists, daß der Klang sich in die Finger goß
Doch was ich sagen wollte, habe ich vergessen
Körperlos der Gedanke kehrt ins Schattenschloß.
Immer verfehlts der durchsichtige, bleich…
Immer die Schwalbe, Antigone, die Freundin…
Doch auf den Lippen brennt wie schwarzes Eis
Erinnerung an das stygische Läuten.
Ossip Mandelstam (1920)
Nachdichtung: Rainer Kirsch
••• Als Beispiel dafür, wie eine Nachdichtung ein nahezu völlig anderes Gedicht erschaffen kann: hier die Übertragung von Rainer Kirsch zum Mandelstam-Gedicht vom letzten Freitag. Obgleich ich bekennender Celan-Fan bin, fällt es mir schwer, seiner Übertragung ganz vorbehaltlos den Vorzug zu geben. Beide Varianten überzeugen mit starken eigene Übertragungsideen. Gerade deswegen war ich froh, in dem erwähnten Band beide Nachdichtungen präsentiert bekommen zu haben.