Womit man ihn zeichnet

3. August 2009

»Krötenwanderung« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

1
Zweimal ist es mir passiert, dass, als eine Frau mir ihre Hand auf die rechte Schulter legte, ich danach tagelang unter Schmerzen im Nacken- und oberen Rückenbereich litt. Im selben Moment, in dem die weibliche Hand meine Schulter berührte, fuhr mir der Schmerz ins Fleisch: unerwartet, plötzlich, heftig.

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Beide Frauen waren Schweizerinnen. Die eine üppig in ihrer geordneten Sinnlichkeit, die andere reizend in ihrem aufs Wesentliche reduzierten Überschwang. Beide aber waren sie sesshaft, heimatliebend, eine geputzte Heimat liebend. Des unablässigen Fernwehs müde, erlag ich den Lockungen des Schoßes dieser beiden Frauen. Heim wollte ich, da hinein.

3
Die Ausflüge in die Schweizer Schluchten waren dunkel, aber nicht geheimnisvoll. Im schwachen Schein duftender Kerzen badete ich in begradigten Bächen, und auf knisternd gebügelten Laken liegend schlürfte ich von sauberen Ufern. Seit einigen Jahren werden Versuche unternommen, Flüssen ihr ursprüngliches Bett zurückzugeben, doch es bleibt ein Gefühl von Unnatur, wenn ihr wildes Treiben auf für die Zivilisation ungefährliche Abschnitte beschränkt bleibt.

4
Wie fremd mir diese Heimat war, wurde mir bewusst, wenn ich zwischendurch mal das Badezimmer aufsuchen musste. Dann ermahnten mich die beiden Frauen, kein Haar auf ihrem glänzend weiß gekachelten Boden zu verlieren.

5
Rätselhaft blieb mir jedoch, wodurch der Schmerz in meiner rechten Schulter ausgelöst worden war. Die bloße Berührung hatte es nicht gewesen sein können. Das eine Mal hatte sie neben mir in der Küche gestanden und ihre Hand leicht über meinen Rücken fahren lassen. Das andere Mal hatte sie mich im Auto kurz nochmals an sich gedrückt, nachdem sie mich nach einem angenehmen Abend im Kino nach Hause gefahren hatte. Was also hatte diese überaus heftige Reaktion dieses ganz spezifischen Bereichs meines Körpers ausgelöst?

6
Das war, bevor ich meine brasilianische Frau kennenlernte. Auch sie berührte mich an meiner rechten Schulter, doch diese Berührung hatte keine schmerzhaften Folgen. Ich vergaß die beiden Schweizer Frauen und erinnerte mich erst heute wieder an sie, als ich mich in den Spiegel drehte und dabei einen Blick auf die Tätowierung auf meinem rechten Schulterblatt erhaschte.

7
Und nun stellt sich mir die Frage, inwieweit ein Körper auch den Symbolgehalt dessen versteht, womit man ihn zeichnet. Bevor ich 1990 Brasilien verließ, stach ein guter Freund ein Tattoo auf mein rechtes Schulterblatt. Wie von Kinderhand gezeichnet leuchten seither farbig dort die Konturen der brasilianischen Flagge.

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