Wahr ist nicht, was A gesagt hat; Wahr ist, was B verstanden hat.
••• Neben Maturana hatte ich im Urlaub auch ein – ebenfalls geschenktes – Buch von Paul Watzlawick dabei: »Anleitung zum Unglücklichsein«. Dieses Büchlein kommt harmlos daher und lässt sich unbedarft als Schnurre lesen, die uns lächelnd den täglichen Irrsinn unseres Verhaltens vor Augen führt. Nicht ohne Grund aber finden sich im Anhang der Maturana-Bücher Hinweise auf die Watzlawick-Publikationen. Schließlich geht es beiden wesentlich um Kommunikation.
Ist Watzlawick eigentlich schon einmal poetologisch hinterfragt worden? Für die Literatur sind seine Axiome von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Man nehme nur einmal dieses:
Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt.
Die Wikipedia erläutert dazu:
Jede Kommunikation enthält über die reine Sachinformation (Inhaltsaspekt) hinaus einen Hinweis, wie der Sender seine Botschaft verstanden haben will und wie er seine Beziehung zum Empfänger sieht (Beziehungsaspekt). Der Inhaltsaspekt stellt das „Was“ einer Mitteilung dar, der Beziehungsaspekt sagt etwas darüber aus, wie der Sender diese Mitteilung vom Empfänger verstanden haben möchte. Der Beziehungsaspekt zeigt, welche emotionale Beziehung von einem Kommunikationspartner gesetzt wird. Daraus folgt, dass der Beziehungsaspekt bestimmt, wie der Inhalt zu interpretieren ist. Die Art der Beziehung zwischen zwei Kommunikationspartnern ist für das gegenseitige Verständnis von grundlegender Bedeutung.
Wie steht es aber um den Beziehungsaspekt in der Literatur? Ich durfte feststellen, dass sich die Marketiers im Verlag sehr viele Gedanken machen um das Publikum eines Buches. Wie aber steht’s beim Autor? Ich würde behaupten wollen, dass ich keinen blassen Schimmer habe von meinem potentiellen Publikum. Literatur versucht zu kommunizieren. Wie aber soll ihr das gelingen bei völlig verschwommenem »Beziehungsaspekt«?
Am 27. Juli 2009 um 20:35 Uhr
1. Du als Autor magst einen verschwommene Vorstellung Deines Publikums haben. Der Text jedoch – ist er handwerklich in Ordnung – hat eine sehr klare Vorstellung seiner potentiellen Leserschaft. Die Art und Weise wie ein Text geschrieben ist, selektioniert seine Leserschaft.
2. Der Beziehungsaspekt, der den Autor interessieren muss, ist nicht der zu seinen Lesern, sondern der zu seinem Text.
3. Um den Beziehungsaspekt zwischen Text und Leser kümmern sich – ganz richtig – die Marketiers. Sie verstehen, an welche Leser sich der Text richtet und unternehmen nun das entsprechende, diese Lesergruppe auf den Text aufmerksam zu machen.
Am 27. Juli 2009 um 20:38 Uhr
Die Kommunikationstheorie sagt jedoch auch, dass der Sender nie in der Gesamtheit lenken kann, wie der Empfänger die Botschaft versteht. Das gilt umso mehr für die Literatur.
Das ist doch das Schöne am Schreiben – und am Lesen.
Am 27. Juli 2009 um 20:42 Uhr
Kann der Text eine Vorstellung von seinem Leser haben? Und wenn ja, wo steckt die?
Am 27. Juli 2009 um 20:46 Uhr
Es gibt, gemäss semiotischen Theoriemodellen, Textstrukturen, die auf den Leser gemünzt sind, sogenannte Leserstrategien – sie selektionieren und lenken die Leser. Es hier auszuführen würde etwas weit führen. Empfohlen sei Umberto Ecos „Lector in fabula“, worin die verschiedenen Beziehungen, Strukturen und Strategien aufgezeigt werden. Nicht ganz leichte Lektüre.
Am 27. Juli 2009 um 20:53 Uhr
Und der ahnungslose Autor, den wir in mir ja offenbar vor uns haben, macht das alles unbewusst?
Am 27. Juli 2009 um 21:10 Uhr
Es gibt eine ganze Disziplin, die sich mit all diesen Aspekten befasst. Sie nennt sich Textlinguistik und ich habe es während dem Studium enorm genossen, mich darin zu vertiefen. Aber es hat mich auch verrückt gemacht, weil ich keine Zeile schreiben konnte, ohne an all die Aspekte zu denken, die bei der Textrezeption mit hineinspielen. Der Punkt ist: Sie sind während dem Schreibakt unerheblich. Da zählt nur eines: Eine gute Geschichte gut zu erzählen.
Ich musste irgendwann zu einer Naivität zurückfinden und all das, was ich gelernt hatte, vergessen. Und ja, vieles tun wir – wie bei jeder Kommunikation auch im nicht-literarischen Leben – unbewusst. Wenn Du mit jemandem sprichst, hast Du da die volle Kontrolle drüber, wie das, was Du sagst, und wie das, wie Du wirkst, beim anderen ankommt?
Aber wenn Dich das Thema wirklich interessiert: Einen sehr unterhaltsamen und dennoch guten Einstieg in das Thema bietet „Im Wald der Fiktionen“, auch von Eco. Es sind sechs Vorlesungen, die er an einer amerikanischen Uni gehalten hat. Ein kleines Büchlein also.