••• Vor 11 Jahren – 1996 – war ich zum ersten Mal in New York. Den Flug hatte Egon Ammann bezahlt. „Das ist Deine Stadt, hier musst Du unbedingt hin!“ hatte er mir geschrieben, handschriftlich auf Luftpostpapier aus einem New Yorker Hotel. Dieser Brief und das Flugticket waren mir geradezu ein Liebesbeweis. Und das von meinem Verleger. Ich war im siebten Himmel.
Tatsächlich fühlte ich mich in New York wie zu Hause, als ich schliesslich dort ankam. Da ich nur wenig Geld hatte, stieg ich in einem preiswerten, so genannten Jugendhotel ab. Das ertrug ich allerdings nur eine Nacht. Das Klo war verstopft; und die Kakerlaken in mir bis dahin unbekannten Grössen liefen nachts munter über die Bettdecke, so dass ich am nächsten Tag umgehend auscheckte und erneut auf Hotelsuche ging.
Das Chelsea Hotel wurde mir empfohlen – 222 West 23rd Street – ein Künstlerhotel mit bewegter Geschichte, wie mir versichert wurde. Das Zimmer dort war nicht teurer als das Kakerlakennest, heruntergekommen, aber sauber und frei von Ungeziefer.
Erobert habe ich mir New York zu Fuss. Tagelang bin ich durch Manhattan und Brooklyn gelaufen, ohne jene Quartiere zu meiden, vor denen ich wortreich gewarnt worden war.
In einem Book Shop in Soho habe ich mein zweites englischsprachiges Buch gekauft. Das erste, das waren ja – wie an anderer Stelle schon berichtet – cummings‘ „Complete Poems“. Das zweite war nun ein eher schmaler Band von Paul Auster: „Moon over Manhattan“. Es war mein erster Versuch mit englischer Prosa im Original. Beim ersten Durchgang blieb wenig übrig, beim zweiten mehr. Beim dritten schliesslich – auf dem Rückflug – war der Knoten geplatzt. Seither lese ich viel und gern auch auf Englisch. Das verdanke ich also Auster, denn hätten mir die Fragmente, die sich mir zunächst von seinem Buch erschlossen, nicht so sehr gefallen, hätten mich wahrscheinlich Mut und Geduld verlassen, bevor die Sprachbarriere dauerhaft hätte niedergerissen werden können.
Paul Austers Schreibmaschine, auf der er seit 1974 alle seine Werke geschrieben hat, stand zu jenem Zeitpunkt in Brooklyn. Mit ein bisschen mehr Chuzpe hätte man bei ihm klingeln können. Das wagte ich natürlich nicht. Zu sehen bekommen habe ich diese Schreibmaschine später aber doch, und zwar in Austers Film „Smoke“, in dem eine ganze Riege von Hollywoodgrössen in einem Tabakladen – der von Harvey Keitel betrieben wird – zusammentrifft und sich unterhält: übers Rauchen, aber natürlich nicht nur. Paul Auster spielt auch mit und die Schreibmaschine, wie könnte es anders sein, ebenso.
In der Zwischenzeit war ich mehrmals in New York als Journalist. Da wurde ich jeweils in Hotels mit klimatisierten Räumen in der Nähe des Central Parks untergebracht, bequeme Quartiere, aber mit deutlich weniger Flair. Im Chelsea Hotel war ich seither nicht mehr. Schade eigentlich. Das sollte man sich mal vornehmen. Auch wieder einmal Auster lesen. Seine „Story of My Typewriter“, die mir meine Liebste gestern zum Lesen gab, hat mir wieder Appetit gemacht.
Am 6. Juni 2007 um 07:59 Uhr
Die Hotels „helfen“ aber nicht viel gegen die Kakerlaken NYC’s. Ich wohnte seinerzeit sowohl mal in einem Nobelhotel als auch, meist, in einem abbruchreifen guesthouse, das gerade umsaniert wurde: zum Schluß war mein Zimmer noch das einzige, da dort ein Dach hatte. Star Hotel, 8th/32nd, heute ein Szenetreff. Da, in der Ab- und Umbruchphase, entstanden die später mittragenden Szenarien meines Manhattan-Romans, den später, worauf ich stolz bin, sogar Else Buschheuer als Nummer 227 der Bibliothek von Kathmandu eingestellt hat.
Das Chelsea Hotel hat leider, wie New York City insgesamt (seit und durch Giuliani), eine v e r g a n g e n e Geschichte. Ich hatte allerdings schon damals (1999) das deutliche Gefühl, daß die „wirklichen“ Städte Bombay, Mexico City, Kairo sind – Gegenwart findet d a statt, nicht in NYC und nicht in Berlin. Freilich hat NYC, „dank“ 9/11, wieder aufgeholt.
Am 6. Juni 2007 um 10:40 Uhr
Ich bin ja in Indien aufgewachsen. Dort gehören Kakerlaken und Geckos einfach zum Hausstand. Und egal ob 5-Sterne Hotel/Restaurant oder Bruchbude, die Tiere waren überall. Man hat das aber nicht als eklig betrachtet. Es war einfach normal.
Und nach/während dem Monsun Frösche/Skorpione/Schlangen im Haus zu haben war auch kein Einzelfall.
Am 6. Juni 2007 um 10:56 Uhr
Als Mitteleuropäer bin ich da eben doch etwas schreckhaft. Einen Gecko auf dem Kopfkissen müsste ich auch nicht unbedingt haben…
Am 6. Juni 2007 um 12:10 Uhr
Richtig: Mexico, Ciudad. Das ist stadt. Alles andere ist ansammlung von heerscharen. Mexico, mit definitiv allen vorzügen gegenüber einer amerikanischen oder gar europäischen stadt, hat diese nicht zuletzt durch seine ausschließliche metaphysik. Wie alles, das keine vernunft besitzt, mit großem geist beseelt.
Am 6. Juni 2007 um 12:14 Uhr
Aber bitte, eine Stadt nur Ansammlung von Heerscharen? Eine Stadt selbst hat oder kann zumindest auch Seele haben. Das sind nicht nur die Heerscharen. Ich weiss nicht einmal, was genau es ist, das mir an New York so gefällt. Es gibt einfach Orte, da kommt man hin und hat das Gefühl, das hat etwas von Heimat im besten Sinne. Man muss es nicht mal genauer benennen können. Es ist einfach so. Und dieses Gefühl vermindert sich auch nicht wegen eines Guiliani.
Nein, „wo der Bär steppt“ o. dgl. das ist nicht, was ich meine… Im übrigen bin ich weder in Mexico noch in Mumbai je gewesen.
Am 6. Juni 2007 um 14:35 Uhr
Aber natürlich sind die städte beseelt, wenn es selbst die häuser im einzelnen sind. Städtemysterien sind keine uninteressante argumentation, wenn man dem menschen auf die schliche kommen will. Wie in der Biologie auch, gibt es eine zellenbewegung von der ersten höhlenagglomeration an. Die Geomantie spielt hier eine herausragende rolle. Sehen wir doch einfach nach, wo die grossen städte liegen und lagen, ob es nun Babylon (war) oder Rom, New York, Mexico (ist), stets treffen wir auf legenden, die noch nicht einmal direkt mit der geschichte der stadt in verbindung stehen. Amerika konnte nicht anders, als ein New York zu machen, Europa nicht anders, als seine facetten mit Rom, Paris, London, Prag undsoweiter aufzuzeigen. Das ist das eine, das andere ist der direkte zugang zu unserer eigenen zelle, die sich mit Bienenkorbsuche ausdrücken lässt. Es gibt waben, die stinken und es gibt waben, die duften wie der schlund einer göttin. Alles in allem sind städte seelenkokons, jeder der mal da und da war, musste dort gewesen sein. Die Queste des lebens führt auf keinen fall an einer stadt vorbei und mittlerweile kann man den charakter einer metropole ebenso deuten wie etwa das fehlverhalten in jeder art von gesellschaft von… sagen wir: mir.
Am 6. Juni 2007 um 14:42 Uhr
ich war nur einmal, als kleiner junge, in nyc. ich habe kaum erinnerungen an diese reise. eine der wenigen ist diese: schon immer hatte ich den drang die städte, die ich besuchte, von oben zu sehen und so besuchten wir das observation deck des world trade centers. die aufzugfahrt ging schneller, als das warten in der schlange. ich erinnere mich weniger an eine aussicht, als an ein gefühl: klein und unbedeutend zu sein angesichts dieser riesigen stadt. ansonsten entsinne ich mich eher in „flashs“: eine schöne frau verlässt ein teures hotel und steigt in eine limousine / der gastgeber erklärt die funktionsweise der sprinkleranlagen in der statue of liberty / in greenwich village der unerklärliche drang sich dort anzusiedeln usw…
heute geht meine stimme für „die“ stadt an: istanbul.
apropos auster: auch ich habe lange nicht an ihn gedacht, bis mir gestern sein gedichtband von 1988 in die hände fiel: „disappearances“. auch wenn a.rosenfelder behauptet, die gedichte gehörten wieder in austers schublade zurück, wo sie so lange jahre gut lagen: es sind schöne gedichte. schön in ihrer schlichtheit und in ihrem sparsamen vokabular.
Am 6. Juni 2007 um 14:47 Uhr
Auster und Gedichte?! Danke für den Hinweis. Der Spur werde ich umgehend folgen…
Am 6. Juni 2007 um 14:57 Uhr
zweisprachige ausgabe: paul auster – vom verschwinden / disappearances
gedichte / poems • rowohlt, 2001 • isbn 3-499-22721-5
Am 6. Juni 2007 um 15:14 Uhr
Danke vielmals.
Am 6. Juni 2007 um 15:31 Uhr
hab ich, dat gedichtbändchen, für fünf mark damals, weils etwas beschädigt war, der inhalt war aber gar nicht beschädigt, paul auster ist doch auch mit einer schriftstellerin verheiratet, verlobt oder zusammen, wie heißt die noch.
ich „eiß nicht irgendwie geht der paul nicht an mich, außer seine gedichte.
* ich lass dat W mal weg, vielleicht brauchen es andere noch
Am 26. Juni 2007 um 01:20 Uhr
[…] Heute gilt mein Dank Ken Yamamoto für seinen Hinweis auf die Gedichte von Paul Auster. Neue Gedichtbände lese ich normalerweise cover to cover und stecke kleine Lesezeichen an die […]
Am 24. Oktober 2007 um 09:22 Uhr
[…] Von Paul Austers Schreibmaschine war hier schon die Rede. Und obigen Fund der Herzdame wollte ich den Turmseglern auch nicht […]