Ein Gastbeitrag von Hartmut Abendschein
über Herman Melville: „Bartleby, the Scrivener“
••• Ich überlege mir, nicht mehr fernzusehen. Auch noch die Überreste meines Fernsehens über Bord zu werfen. Das sind nur noch: Eine kleine Nachrichtensendung, täglich, und ein sonntäglicher Tatort. Auf Letzteren habe ich schon seit Wochen verzichtet. Und der Rest? Wozu gibt es noch nachhaltige Zeitungen und, ja, die eine oder andere Seite im Internet?
Das Prinzip der Verweigerung, wie es bei Melvilles Kopisten Bartleby zum Tragen kommt, kulminiert in ein zur höflichen Formel geronnenes I would prefer not to, einer Aussteigerformel, die – irgendwie plötzlich – einen angestellten Schreiber aus der Umlaufbahn wirft, indem er diese setzt und immer dichter setzt und umsetzt, so dass er sich am Ende am Ende befindet.
Ohne mich jetzt weiter in den ganzen Wust der immer noch anschwellenden Kritik dieses Textes zu knien, denn das möchte ich lieber nicht, schreibe ich über diese einfache Formel und ihre Konsequenz, die dort natürlich nicht zum Guten endet, auch nicht so enden kann, denn was endet schon zum Guten?
Ein Buch, das ich in diesem Zusammenhang erinnere, eine Aufsatzsammlung vielleicht, mit dem Titel „Literatur ist Widerstand“ (Innsbruck, 2005) lag vor kurzem auf meinem Tisch, und sein Verfasser meinte nicht etwa eine engagierte Literatur, wie sie da und dort wieder vermehrt gefordert wird. Tatsächlich wird die Tätigkeit des Schreibens an sich gemeint, die sich allen (äusseren) Einflüssen entzieht, so gut es eben geht.
Es ist eine Art Tätigkeit des verzichtenden Gewinns. Vielleicht als eine Haltung und Arbeit an einer Haltung zu umschreiben, die Literatur in der Produktion (und vielleicht auch Rezeption, wenn sie nicht nur kontempliert) an sich als Wert sieht. Ein alter Hut also.
Doch kann sie immer noch für eine Wappnung oder als Stabilisator bzw. Immunisator dessen stehen, was man einmal Subjekt nannte. Aber ich meine hier vielleicht nur etwas, das mit dem Willen zur Durchdringung oder zum Werk, schlicht: zur Konzentration verbunden ist.
So stelle ich mir Bartleby vor, der durch äusserste Entsagung an sich, und das ist sein Werk, arbeitet. Das heisst in diesem Falle: Sein eigenes Werden zu einer symbolischen Lebensform zu machen, die sich gleichzeitig in ihrer Vollendung auslöscht. Diese ist naturgemäss von vielen Seiten her verpönt, weder zeitgemäss noch sonderlich erwünscht.
Vielleicht ist sie auch nicht besonders sozialverträglich, obwohl sie aber als wahrscheinlich ökologisch unbedenklich, wenn nicht sogar wünschenswert angesehen werden kann. Dass es aber so und nur wenig anders gemeint sein kann, dass also erst der Wille zum Aus- und Nichtmehreinschalten ein wichtiger Schritt zum Werk sein muss, lese ich daraus. Das heisst aber auch, dass dieses Werk entstehen muss, sonst macht all das keinen Sinn. Vielleicht brauche ich also auch die Zeitungen nicht mehr. Vielleicht sollte ich generell auch das Lesen bleiben lassen, und mehr Zeit auf das Schreiben verwenden. Das alles im Konjunktiv.
Aber auf einen breitbandigen Internetanschluss verzichten? I would prefer not to.
Am 5. Juni 2007 um 10:11 Uhr
Viel interessanter als Bartleby selber ist das Verhalten seines Chefs, denn anstatt ihn sofort hinauszuschmeissen, hat er sehr viel Verständnis für ihn und es tut ihm auch aufrichtig leid ihn dann schlussendlich doch entlassen zu müssen und selbst dann macht er sich noch Gedanken um Bartleby. Vielleicht ist er es ja selber den er da in dieser Figur sieht. Vielleicht versucht auch er jeder Veränderung aus dem Weg zu gehen, denn so lese ich Bartleby, keinesfalls als Verweigerung von etwas, eine Verweigerung enthält einen Grund, warum verweigere ich mich dem Fernsehen, den Gesetzen, der Liebe.
Bartleby hat keine Gründe der Verweigerung, er ist so eine Mischung von Vladimir und Estragon, die auf Godot warten, obwohl jeder von beiden ohne Hoffnung ist dass er jemals kommen wird.
Es ist ein sich Abfinden und das klingt im Büroalltag natürlich wie Verweigerung.
Auf jeden Fall ist es ein großes Buch, eins das man immer wieder lesen kann.
Am 5. Juni 2007 um 10:46 Uhr
ich freue mich sehr, einen beitrag, der – wie kann es anders sein – sehr interessant ist und zum nachdenken anregt (…), von hartmut abendschein hier zu finden und einen dank schicke ich via “taberna kritika”!
Am 5. Juni 2007 um 10:49 Uhr
Ich habe mich auch sehr gefreut und schicke den Dank ebenfalls gern öffentlich.
Am 5. Juni 2007 um 10:56 Uhr
der chef ist in der tat die figur, der man sich am vielschichtigsten nähern könnte. und spielt nicht grundlos eine so grosse rolle in der rezeption, die ihn (wenn ich mich recht erinnere) bis hin zu einer allegorie der conditio humana ausstaffiert hat. mein kleines thema war aber eigentlich weder chef noch besonders die figur bartleby sondern lediglich dieser kleine satz, der es zum hauptsatz geschafft hat. eine handlung, die sich in einer nichthandlung ausdrückt. bartleby ist „scrivener“, was man vielleicht mit „schreiber“ übersetzen könnte und was auch so gemacht wurde. er ist von seiner anstellung her kopist, derjenige also, dem ein individueller schreibakt in der arbeitswelt untersagt ist. und diese individualität nährt sich vor allem über die funktion in der arbeitswelt. „die verweigerung im konjunktiv“, so meine lektüre, die abweichung, das vorgeschriebene nicht mehr schreiben zu wollen, wird nicht etwa dadurch unterlaufen, dass gegengeschrieben werden würde. dass bartleby texte veränderte und subvertierte, sondern dass er ganz einfach nicht mehr schreibt. ich lese das als eine art statement wie „man kann nie nicht schreiben“ oder „bartleby schreibt, indem er nicht schreibt“. das alles geschrieben von einem autoren, der, wollte er einen text dieser lesart tatsächlich aufsetzen und veröffentlichen, diesen hätte erst gar nicht schreiben oder in die welt setzen dürfen. dieses gefüge hat mich, als ich den text wieder erinnert habe, interessiert. darum auch ein titel wie der obige …
Am 5. Juni 2007 um 11:01 Uhr
also doch verweigerung, nur eine die man selber nicht mehr bestimmen kann. Aber so sind alle literarischen Figuren die „dazwischen“ hängen, die weder leben noch tot sind.
Mir fällt da immerzu Beckett ein, dessen FIguren genau in diesem Strom weiterschwimmen wo er Bartleby aufhört zu schwimmen.
Am 5. Juni 2007 um 11:11 Uhr
zur konsequenzhaftigkeit der symbole: ich habe oben von einer „symbolischen Lebensform“ gesprochen. von einem symbolwerden einer figur (vielleicht auch: einer aussage), die einen prozess durchläuft und mit dem verschwinden erst vollständiges symbol wird, weil dieser prozess teil des symboles ist. ich sehe da unterschiede zu beckettfiguren, die alle schon symbole sind. bartlebys ende gehört einfach dazu. er stünde sonst tatsächlich für eine ganz andere qualität.
Am 5. Juni 2007 um 11:32 Uhr
Auf jeden Fall ein feines Buch, mit einem wunderbar ironischen Ton…
Am 30. Oktober 2007 um 17:15 Uhr
I’d rather not.