Drohung

17. Dezember 2006

Ich kann nicht allein schlafen.
Ich höre sein Lied.
Die Zehen laufen mir von selbst davon,
seinen Schritten nach.
Knospen sind mir ausgeschossen
aus den Brüsten.
Wenn du mich nicht verheiratest, Vater,
werde ich dir Schande machen.
Ich liege auf der Straße
und warte, daß er mich trifft.
Mein Schoß bellt nach ihm.
Ein Bein in einem,
das zweite im anderen Graben.
Mein Schoß trinkt die Straße,
auf der er davonging.

Anonym, aus: „Zigeunerlieder“
zusammengestellt von: Rade Uhlik und Branko Radicvic
Philipp Reclam jun. Leipzig 1977

••• Dieses Liebesgedicht ganz anderer Art als die bisher zitierten habe ich in einem alten DDR-Reclam-Bändchen gefunden. Die Lieder in dieser Sammlung wurden im Gebiet des heutigen Serbien wandernden Sängern und Sängerinnen vom Munde abgeschrieben.

Pferdestehlen, Gefängnisaufenthalte, Armut, Hunger und verwaiste Kinder – das sind die Themen, um die diese Lieder kreisen. Doch auch die Liebe kommt immer wieder zu ihrem Recht. Es gibt da wenig Romantik aber keinen Mangel an Leidenschaft.

Eine solch kräftige und dabei doch nicht weniger poetische Beschreibung körperlicher Sehnsucht nach dem Geliebten – zumal mit der Stimme einer Frau – findet sich selten.

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