Ich persönlich mag die Zukunft nicht, da ich sie nicht kenne. In Chile kam einmal eine Zigeunerin auf mich zu und fragte: »Darf ich Ihnen aus der Hand lesen? Ich kann weissagen.« Ich sagte: »Gnädige Frau, bitte lassen Sie meine Zukunft Zukunft bleiben, denn ich möchte in der Gegenwart möglichst wenig darüber wisssen.« Daraufhin lobte sie mich als einen klugen Menschen.
••• Im April war ich für ein Wochenende in Berlin. Beim Sonntagsbrunch traf sich meine Abiturklasse – zum ersten Mal nach 20 Jahren. Wiedergetroffen habe ich dort auch einen Schulfreund, mit dem ich damals schon oft und angeregt diskutiert habe – über »Gott und die Welt«, wie man so sagt. Wir waren umgehend wieder im besten Gespräch, als hätten wir den Austausch nur kurz unterbrochen.
Einige Tage vor dem Urlaub erreichte mich ein Päckchen von ihm mit Büchern von Humberto Maturana. Das war mit Abstand die interessanteste Urlaubslektüre, die ich je mit auf Reisen genommen habe. Dabei ist Maturana nicht etwa Dichter, sondern – Biologe.
Worum drehen sich Maturanas Thesen? Die Welt, in der wir leben, könnte man subsumieren, ist nicht außerhalb, nicht unabhängig von uns; wir erschaffen sie gemeinsam im Prozess des Erkennens und im Verwandeln der Erkenntnis in Sprache. Realität finden wir nicht »draußen«; vielmehr entsteht sie im Auge des Betrachters. Bewußtsein schließlich findet nicht im Gehirn statt (das keineswegs, wie gern angenommen, mit verlässlichen sinnlichen Repräsentationen einer »objektiven, realen« Außenwelt operiert), sondern in den Beziehungen der Menschen untereinander.
Maturanas Ideen von der Autopoiese aller »lebenden Systeme« mit all ihren Implikationen werden mich noch eine Weile beschäftigen.