Die Buchstaben nicht

25. Mai 2007

••• Rabbi Chananya ben Tradyon – das Andenken des Gerechten sei zum Segen – starb den Märtyrertod, umhüllt von einer Torah-Rolle, die von seinen Henkern angezündet worden war. Während er starb, standen seine Schüler um ihn und weinten. Rabbi Chananya ben Tradyon fragte sie: Warum weint Ihr? Das Pergament brennt, die Buchstaben nicht.

An Shavuot stand die Synagoge Malagnou in Genf in Flammen. Ob es sich um einen Unfall oder einen Anschlag handelt, wird noch untersucht.

11 Reaktionen zu “Die Buchstaben nicht”

  1. Markus

    Ich bin erschrocken, als ich die Bilder im Fernsehen sah. Ein regelmässiger Besucher der Synagoge wurde auch interviewt. Er meinte, er hoffe von Herzen, der Brand sei von einem Kurzschluss verursacht worden. Ich schliesse mich seinem Wunsch an.

  2. Benjamin Stein

    Alle hoffen wir das. Das Schlimme ist, dass keiner von uns, die es wegen des Feiertags erst heute morgen in der Synagoge erfahren haben, spontan an einen Unfall dachte. Wenn dergleichen geschieht, noch dazu an einem Feiertag, sind die Assoziationsketten vorgezeichnet. Und statt sich zu fragen, in welchem Zustand wohl die Elektrik in dieser Synagoge gewesen sein mag, wird an die Chassidim erinnert, die in Zürich auf offener Strasse ermordet wurden – in naher Vergangenheit.

    Meine Frau reagiert anders auf solche Nachrichten: Es wird doch ein Unfall gewesen sein! Und dann studiert sie alle Nachrichten, um sich das selbst möglichst schnell zu belegen. Weil alles andere sie viel zu heftig berühren würde.

    Die Kinder: Das ist aber schade. Jetzt können wir in Genf gar nicht mehr in die Synagoge gehen. – Manchmal möchte man Kind sein. Und dann fragt man sich, ob man nicht möglichst lange den Kindern das Gedächtnis an die anderen Brände ersparen sollte.

  3. Hilbi

    mir fällt nur dieses Gedicht von Jan Skacel ein, vielleicht passt es

    Dort

    In den kronen der bäume gibt der wind nicht ruh
    und das laub spricht vor sich hin
    als fließe über den köpfen der menschen ein bach

    Abends wird dieses wasser still
    und die zeit hält einen augenblick inne

    Von neuem versteht sich die erde mit dem himmel
    Am ufer des kleeflusses
    bestimmt der große stumme hase
    was zur dunkelheit gehört
    und was sonst noch dunkel wird

    Jan Skacel

  4. Markus

    @Benjamin: Angesichts eines solchen Geschehens wird für mich das Wechselspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, wird die Macht, die unsere Wahrnehmung von der Welt auf die Welt hat, zu einer ganz dringenden Frage. Angenommen es war ein Anschlag: was ist das für eine Wahrnehmung, die der Anschläger von der Welt hat? „Die Protokolle der Weisen von Zion“ sind nachweislich pure Fiktion und doch haben sie verheerende Folgen gezeitigt (Eco hat die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte präzise rekonstruiert).

    Was wir – auch und gerade als Schriftsteller – erzählen, ist nicht belanglos. Spätestens dann, wenn Fiktion jemanden dazu veranlasst, in der Welt handelnd tätig zu werden, ist es vorbei mit der oft gehörten, herablassenden Bemerkung: Ach, das sind doch nur Geschichten.

  5. Hilbi

    Nach dieser Nachricht deutet wohl alles auf Brandstiftung.

  6. Benjamin Stein

    Auf diese Nachricht würde ich jetzt mal noch nichts geben. Das scheint von der Nachtschwester geschrieben zu sein. Laut NZZ hat Nessim Gaon das genaue Gegenteil verlautet, nämlich dass er einen Kurzschluss als Ursache vermutet.

    Vor dem Hintergrund, dass kurier.at von Brandstiftung ausgeht, ist der Schlusssatz natürlich ein Brüller:

    Ob die Tat einen antisemitischen Hintergrund hat, kann derzeit noch nicht gesagt werden.

  7. Benjamin Stein

    Bei n-tv.de:

    Die Schäden innerhalb der Hekhal-Haness-Synagoge seien riesig, sagte der Vorsitzende des Jüdischen Zentrums für Kultur und Religion, Nessim Gaon. Es müsse sich um eine absichtliche Tat handeln. Ähnlich äußerte sich Polizeisprecher Philippe Cosandey. Ein krimineller Hintergrund könne nicht ausgeschlossen werden, „es gibt aber auch noch viele andere Möglichkeiten als Brandursache“. Ob der Brand einen anti-semitischen Hintergrund habe, könne noch nicht gesagt werden. Berichte über anti-semitische Taten sind in der Schweiz selten.

    Man muss jetzt einfach abwarten, was ermittelt wird. Derzeit scheint alles Spekulation.

  8. Markus

    Berichte über anti-semitische Taten sind in der Schweiz selten.

    Das ist ja wirklich eine grandiose Formulierung! Berichte sind selten!
    (Anti-semitische Taten in der Schweiz sind es leider nicht ganz so. Man hört meist nur am Rand von ihnen.)

  9. ksklein

    So lange spekuliert wird: Ich bleibe noch bei der Version des Unfalls.

  10. Markus

    Es war Brandstiftung.

    Leider.

  11. Benjamin Stein

    Am Freitagabend gaben die Genfer Untersuchungsbehörden bekannt, dass der Brand in der Synagoge vom 24. Mai mutwillig gelegt worden war. Technische Gründe oder ein Unfall wurden ausgeschlossen. Derzeit verfolgen die Ermittler alle möglichen Spuren.

    Eine Tat von Extremisten steht laut den Untersuchungsbehörden dabei nicht im Vordergrund. Erkenntnisse erhofft sich die Polizei von der DNA-Analyse eines am Tatort gefundenen Zigarettenstummels. Die Untersuchung ist im Gange, auch wenn dieses Fundstück durch den Brand und das Löschwasser gelitten hat.

    Das ist nun keine gute Nachricht zum Wochenbeginn.

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