••• Vorgestern kam ein dickes E-Mail-Paket von Undine Materni. Darin unter anderem eine Neuübersetzung der Shakespeare-Sonette. Sie stammt von Jan Weinert, geboren 1963 in Jena und selbst umtriebiger Lyriker und Erzähler. Einmal begonnen, konnte ich nicht aufhören zu lesen; und eines ist klar: Diese Übertragung verdrängt für mich nun jene von Frau Schuenke ganz gründlich. Der Hauptgrund ist die ungeheure Textnähe, die Weinert in seiner Nachdichtung gelingt. Doch ganz nah ist Weinert dem Original auch in der musikalischen Stimmung der Sonette.
Letzteres konnte ich nur erfühlen, ohne es genauer belegen zu können. Glücklicherweise lieferte mir Undine Materni auch die Erklärung: männliche und weibliche Reime.
Beim männlichen Reim hebt sich am Zeilenende der Ton. Es entsteht ein Dur; man kann ohne rhythmischen Bruch in die nächste Zeile weiter lesen. Ist der Reim hingegen weiblich, entsteht beim Lesen über das Zeilenende hinaus in die folgende Zeile eine zweifache Senkung, eine Verzögerung und dadurch ein Moll-Klang.
Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed,
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature’s changing course untrimmed:
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st,
Nor shall death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st,
So long as men can breathe, or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.
Vergleich ich dich dem Sommertage lind?
Da du doch lieblicher und lauer bist:
Die Maienblüten schüttelt rauher Wind,
Und Sommer leiht nur allzu kurze Frist.
Manchmal zu heiß das Himmelsauge scheint,
Und oftmals, daß sein Goldton trüb nur glimmt;
Und jedes Schöne Schönes einst verneint,
Die Zierde Zufall oder Wandel nimmt.
Dein Sommer, ewig, welke nie; du wirst
Dein Eigentum an Schönheit nicht verliern.
Tod protz´ nicht, daß du ihm im Schatten irrst,
Durch Zeiten wird ein ewig Lied dich führn.
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
Solang lebt dies, und du kannst nicht vergehn.
William Shakespeare, Sonett Nr. XVIII
© der Übertragung Jan Weinert 1994
Am 6. April 2010 um 23:35 Uhr
Weinert rocks! Die Sonette sind im Leipziger Literaturverlag erschienen (nicht bei mir (gmbl!). Und ich habe das übersehen! Kaufen! Lesen! Staunen! Soffffort!