Eine Antwort an Markus A. Hediger in Hanging Lydia
••• Lieber Markus, zunächst muss ich anmerken, dass ich – obgleich orthodoxer Jehudi – doch kein Dogmatiker bin. Das Judentum hat keine zentrale, dogmengebende Instanz; und ich sage an dieser Stelle bewusst nicht, sie würde fehlen. Insofern erscheint mir der flammend geführte Streit zwischen Kreationisten und Evolutionisten nicht nur selbstherrlich, sondern auch ganz und gar unfruchtbar. Der Streit verkennt, dass beide „Fraktionen“ den Beweis ihrer jeweiligen Urannahme schuldig bleiben müssen. Wären die Mystiker – gleich welcher Couleur – lediglich Dogmen gefolgt, hätten sie sich nur mit jener Kategorie Fragen beschäftigen können, wie viele Erzengel etwa Platz fänden auf einer Nadelspitze.
Meine grösste Frage, die sich aus Deinem Beitrag ergibt, ist: Du beschreibst Schöpfungsmethoden, die einen bereits existierenden Raum voraussetzen. Wird dies in der jüdischen Mystik so gesehen? War die Welt (ganz materiell gesehen) schon immer? Und wird Gott als jener betrachtet, der als erster von ihr „erzählte“?
Zur Antwort auf Deine Frage: Nein, so war das nicht gemeint. Wenn ich sage „Was ich erzähle, geschieht“, rede ich vom Jetzt und Hier. Ich meine nicht, dass die „Welt (ganz materiell gesehen) schon immer“ war und G’tt lediglich als „erster von ihr erzählte“.
Der Sohar – ein deutlich jüngeres mystisches Werk als das Sefer Yetzirah – beschreibt den „Vorspann der Genesis“ als einen den Urknall-Theorien verblüffend ähnlichen Vorgang, der als Zimzum bezeichnet wird.
Es wird davon ausgegangen, dass G’tt selbst das allumfassende, unbegrenzte, unmaterielle Davor, sich in einem einer Implosion vergleichbaren Prozess in sich selbst zurückzog. Jede Implosion mündet in eine Explosion, hier die Emanation der im Sefer Yetzirah beschriebenen 32 Bestandteile des „Werkzeugkastens“, also aus der Mitte des Schöpfergottes heraus erschaffene Teile seines Selbst. Ob auf dieses Ereignis nun eine wörtlich zu verstehende Schöpfungsgeschichte unserer sichtbaren Welt folgt oder ein kosmischer Entwicklungsprozess ist mir persönlich ganz unwichtig.
Bedeutsam finde ich, dass wir als Menschen Zugang zu den „Werkzeugen“ haben und dass wir so – im Hier und Jetzt – zu Partnern im sich ewig erneuernden Schöpfungsprozess werden. Um meine Wirklichkeit zu verändern, braucht es nur den Gedanken; um die Wirklichkeiten eines anderen Gegenüber zu beeinflussen, braucht es die kommunikative Brücke von Sippur (Rede).
Um auf die Literatur zurückzukommen: Mich interessiert die Darstellung der Wirklichkeit aus dem Blickwinkel dessen, auf den sie wirkt – den einzelnen Menschen. Mich interessiert zu zeigen, wie unterschiedlich ein und dieselbe „objektive“ Situation – etwa ein Gespräch – von den Beteiligten wahrgenommen wird. Daraus ergeben sich dann natürlich viele Implikationen in Bezug auf die Wahl der literarischen Mittel.
Am 13. Mai 2007 um 10:56 Uhr
Dogmen, Mystik und Literatur…
Lieber Benjamin, Ich möchte - auch um Missverständnissen der Leser bezüglich meiner eigenen Position - eines klarstellen: Ich bezeichne mich als Christen insofern, als ich in der christlichen Tradition verwurzelt bin - als Mi…
Am 13. Mai 2007 um 13:28 Uhr
Guten Tag Herr Stein,
… ich möchte Ihnen sagen, daß es mir so gut tut, diesen gesamten Dialog zwischen Herrn Hediger und Ihnen zu verfolgen. Wenn nur jeder Mensch „die Brücke von Sippur“ auch als „Kommunikation“ verstünde.
Am 13. Mai 2007 um 21:12 Uhr
Den Beitrag hast Du sehr verständlich geschrieben.
Da wird uns wohl nie langweilig werden – miteinander ;)
Am 13. Mai 2007 um 21:24 Uhr
Womit schon mal bewiesen wäre, wie interessant das ist :-)
Am 13. Mai 2007 um 22:59 Uhr
:)