Er hat noch immer diesen Blick
er will noch immer töten
der aus dem Anbeginn der Föten
dem ungeschiedenen Schlick
sich zäh und bös herausgelöst
der langsam, durstig, niemals satt
sich aus dem Ich gerichtet hat
und uns entblößt.
So frei der alte Mann und so allein
so stolz und so erbarmungslos
blieb er erbarmungslos gemieden
und will noch immer keinen Frieden
steht an der Pforte, würgt den Raucherkloß
laut raus. Und rotzt ihn auf den Stein.
© Alban Nikolai Herbst (2007)
••• Für Alban Nikolai Herbst beginnt heute der Countdown. Am morgigen Samstag wird er in der wundervollen Villa des Literarischen Colloqium Am Sandwerder in Berlin zum Finale um den diesjährigen Döblin-Preis antreten. Courage hat er; die muss man ihm nicht wünschen. Was man ihm wünschen kann: eine gute Hand gehabt zu haben bei der Auswahl aus den 1000 Seiten seines Roman-Typoscripts, um die ihm zugestandenen 25 Minuten des Wettlesens zu bestreiten. Und überhaupt: Hals und Beinbruch! So sagt man doch – auf dem Theater. Das sei ihm von Herzen gewünscht.
Aber es war nicht Prosa, über die ich an einem der letzten Tage in seinem Weblog gestolpert bin; nein, es war – ein Sonett.
So frei der alte Mann und so allein
so stolz und so erbarmungslos
Die Bilanz eines in Lieblosigkeit Erfahrenen, die hier gezogen wird, fällt streng aus, unversöhnt und unversöhnlich. Mit wenigen Strichen ist das Selbstporträt gezeichnet, doch jeder dieser Striche sitzt. Sich selbst und sich in sich selbst auszukennen, mit sich selbst offen und schonungslos sein zu können, das halte ich für Tugenden bei jedem Künstler. Und es ist womöglich gerade diese Ehrlichkeit – auch und gerade vor sich selbst, die Dichtung braucht, wenn sie zupackend sein will.
Auch handwerklich überrascht Herbst hier mit gekonnten Varianten in der Sonettform. Die letzte Zeile des zweiten Quartetts ist verkürzt. Ein „Unfall“, gesteht der Autor, aber einer, der ihm unmittelbar als genau passend einleuchtete und deswegen blieb. Gerade durch die Verkürzung scheint das letzte Wort – entblösst – auf wie eine Synkope. Das Thema ist markiert, hervorgehoben mitten im Text. Doch auch die Stimme kann beim Lesen nicht anders, als tief in die Knie zu gehen. Der Ton sackt in den Hals hinein.
Dieses Markieren der Entblössung ist der Auftakt für den Perspektivwechsel und zugleich eine weitere schöne Form in diesem Sonett: das Reimschema der Terzette ABC-CBA. Die Bewegung geht von Zeile zu Zeile des ersten Terzetts nach innen, um dann wieder nach aussen zu streben. Die Bewegung der Form folgt genau der Bedeutung der Worte: Rückzug in die Besinnung, dann das Hinausgehen bis zur trotzigen Selbstbefreiung.
Ich bin sehr glücklich, dieses Gedicht bei Herbst gefunden zu haben. Denn hier können die Formverweigerer, die blossen Konventionszerstörer, die Handwerksverpöner einmal sehen, wie virtuos man auf alten Fiedeln spielen kann – wenn man es kann.
Herr Herbst, mein Hut lüftet sich leis…
Am 12. Juli 2007 um 07:57 Uhr
Übrigens. Haben Sie d a s gelesen?
Am 12. Juli 2007 um 15:28 Uhr
Hatte ich nicht! Das nenn ich doch mal Humor. Hat Sie doch hoffentlich nicht angegriffen, oder? Ich fands vergnüglich.
Am 13. Juli 2007 um 01:46 Uhr
Der gute dichter ist, wer bereits in der sprache ganz allgemein seine musikalität beweist. Ich betone: nur dann wird man auch im freien dichten können. Man sieht an dem beispiel wohl zu genau, dass man nicht mehr unkt: der takt stimme nicht, sondern der „beat“ stimmt da nicht. Aber, liebe freunde: DAS muss man auch erst einmal schreiben können. Ich kann das nicht. Dabei wäre eine „demente sprachschulung“ gar so wichtig, wenn man hinab muss ins gekneip, um den kinnern aufs maul zu schauen. Man will ja berichten, was sprache alles kann.
der herr verliert sich im geschweif gelaberten azurs, geht deshalb. grüsst aber auch.