die letzte nacht, die blaugefrorn und knochenstarr
sich an den rotwein klammernd auf die leinwand
leergewohnter häuser grinst: hast du noch eurostückchen
kauf dir erinnerungen, schnell, bevor die welt zerfällt
nimm all die abgelegten süchte auf und halt sie in den
aufgemalten strahl der ichfabrik, bunt wie lavalampenblut
vermischt mit dispersionsverbrechen: das ist kein wohnraum hier
das ist der zwang klischees von wohlstand vorzuleben, die in
den treibhäusern der gengemüterzüchter aus blankgezogenen
erinnerungen wuchern: schnell wird ein pressevorwand
hingerichtet als seis ein insasse aus echtem fleisch
und diese letzte, allerletzte nacht greift mit tentakeln
in die leinwandkästen der erkenntnistaucher: ein ruf nur
und die dunkelheit, unweigerlich, ist da
© Sonogara (2007)
••• Als ich zum ersten Mal Gabriela Mistrals „Sonette vom Tode“ las, fiel mir tatsächlich zunächst gar nicht auf, dass sie nicht gereimt waren. Als ich es schliesslich bemerkte, faszinierte mich die Idee. In der Tat ist es vor allem das Versmass, das diese Form so musikalisch macht; und es braucht den Reim gar nicht, der in unserer verhältnismässig reimarmen Sprache doch zu schnell zu einer übergrossen Fessel wird.
Später habe ich feststellen müssen, dass lediglich der Nachdichter auf den Reim verzichtet hatte, um in seiner Übertragung näher am Sinn, dichter bei den ursprünglichen Worten bleiben zu können. Im spanischen Original sind Gabrielas Sonette sehr wohl gereimt. Wie auch immer – die Idee des ungereimten Sonetts hat sich bei mir festgesetzt.
Nun gibt es bekanntlich keine Zufälle. Vor wenigen Tagen stiess ich im Weblog von Sonogara auf ein ungereimtes Sonett. Und da es durchaus mehr zu bieten hat als nur den schönen Formenmantel, habe ich mir Erlaubnis eingeholt, es hier zu zitieren.