Ludwig Meidner (1884-1966): »Apokalyptische Landschaft« (1913)
Sie wandern durch die Nacht der Städte hin,
Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.
Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn
Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.
Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer
Und löscht der Straßen Lichterreihen aus.
Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer
Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus.
Den einen Fuß auf einen Platz gestellt,
Den anderen gekniet auf einen Turm,
Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt,
Panspfeifen blasend in den Wolkensturm.
Um ihre Füße kreist das Ritornell
Des Städtemeers mit trauriger Musik,
Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell
Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg.
Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit
Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt
Von den Laternen, in die Dunkelheit
Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.
Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand
Und stecken ihre Hände in den Schwarm
Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand
Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.
Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt
Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht,
Die sich wie Blei vom finstern Himmel senkt,
Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht.
Der Städte Schultern knacken. Und es birst
Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.
Breitbeinig sitzen sie auf seinem First
Und schrein wie Katzen auf zum Firmament.
In einer Stube voll von Finsternissen
Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn.
Ihr starker Leib ragt riesig aus den Kissen,
Um den herum die großen Teufel stehn.
Sie hält sich zitternd an der Wehebank.
Das Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,
Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang
Und blutend reißt er von der Frucht entzwei.
Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.
Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält
Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen
Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.
Doch die Dämonen wachsen riesengroß.
Ihr Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.
Erdbeben donnert durch der Städte Schoß
Um ihren Huf, den Feuer überloht.
Georg Heym (1887-1912)
gefunden in: »Poesiealbum 282«
Märkischer Verlag Wilhelmshorst
••• Als Lyriker habe ich (zumindest) einen unverbrüchlichen Fan. Nach der Lektüre der »Leinwand« meinte er: Nur Ihre Gedichte, die sind vielleicht noch besser. Er irrt sich mit seiner überschwänglichen Wertschätzung der Gedichte. Gestern schlug ich in der U-Bahn das »Poesiealbum 282«, und Georg Heyms »Dämonen der Städte« versetzten mich schlagartig in einen Zustand literarischer Demut. (Übrigens musste ich an den frühen Majakowski denken, als ich diese Verse las, die Heym mit nicht einmal 25 Jahren schrieb, bin aber zu bequem, nach dem Gedicht zu suchen, an das ich mich erinnert fühlte.)
Von der eigenen Lyrik bin ich zurzeit ganz abgeschnitten. Ich brüte über Prosa-Ideen und sammle Material über Pan und Faunus…