••• Die Papsthatz der letzten Wochen hat mich wieder und wieder geärgert. Es ist ein gigantisches Versagen – der Medien, der Politiker, der Diplomaten. Es wurde deutlich, dass es mit der »mündigen Öffentlichkeit« nicht weit her ist, vor allem, weil diese Öffentlichkeit nicht bereit oder nicht in der Lage ist, sich mit grundlegendem Wissen zu versorgen. Dass der Zentralrat der Juden in Deutschland, mit meiner eigenen Gemeindepräsidentin an der Spitze, ebenso vollständig in ihrer Diplomatie versagt hat, ist eine persönliche Enttäuschung. Aber der Reihe nach…
Am Montag endlich, endlich bringt der »Spiegel« nun einen Essay des bekennenden Katholiken und Schriftstellers Martin Mosebach. Und Mosebach gelingt auf nur zwei Seiten, glasklar zu erklären, was man auch zuvor schon hätte wissen können (hätte man es gewollt) und als Politiker respektive Diplomat wissen oder doch in Erfahrung hätte bringen müssen, bevor man sich derart auf den Papst einschießt, wie es in den letzten Wochen geschehen ist.
Mosebach erklärt zunächst, was eine Exkommunikation ist (Versagen des Rechts, Sakramente zu empfangen wie etwa die Beichte oder die Sterbesakramente). Nicht einmal einem zum Tode verurteilten Serienmörder würden die Sterbesakramente verweigert. Der Priester, der dem Verurteilten die Sakramente spendet, wird dadurch nicht mitschuldig an dessen Verbrechen, weil es sich dabei um kein Instrument der Moral handelt, sondern um einen Akt der Menschlichkeit. Entsprechend muss ein Papst bestrebt sein, eine Exkommunikation zurückzunehmen. Die Aufhebung einer Exkommunikation ist keine Rehabilitation oder Anerkennung aller Ansichten des Ex-Exkommunizierten. Auch besagter Serienmörder wird nicht rehabilitiert, indem er vor der Hinrichtung die Sterbesakramente erhält.
Mosebach erklärt auch, was ein Bischof ist und dass dieses Amt unverwirkbar ist, da die Weihe eine mystische Dimension aufweist und den Geweihten so unwiderruflich befähigt und ermächtigt. Das ist Teil der Doktrin, also eine Glaubensfrage. Die Bischöfe der Pius-Bruderschaft wurden mit der Aufhebung der Exkommunikation nicht wieder in ihr Bischofsamt eingesetzt. Denn genau ihre (widerkirchenrechtliche) Weihe war der Grund für die Exkommunikation. Von Williamson als »katholischem Bischof« zu reden, ist also eine Tatsachenverdrehung, die durch permanente Wiederholung nicht zutreffender wird.
Die Ansichten Benedikts zum Judentum, den Juden und zum Antisemitismus sind glasklar. Ihm zu unterstellen, das Rad der Kirchengeschichte zurückdrehen zu wollen und den christlichen Antijudaismus wieder hoffähig zu machen, ist schlicht böswillig. Man muss das schon missverstehen wollen, um es derart misszuverstehen.
Was mich an der Beteiligung der jüdischen Diplomatieträger besonders enttäuscht: Sie brechen das Gespräch ab und plappern auf Halbwissen basierende haltlose Anschuldigungen nach. Vornehmste Aufgabe der Diplomatie ist aber, im Gespräch zu bleiben, um die Gegenseite besser zu verstehen und – zu lernen. Indem sie sich beteiligen an der Hatz auf den – o Wunder, katholischen! – Papst, übersehen sie etwas Entscheidendes. Die Kampagne zielt darauf, Religiöses grundsätzlich dem Politischen unterzuordnen. Eine solche Sicht macht jeglichen Glaubenssatz zur Beliebigkeit, zu Spielmasse im politischen Poker. Der Papst weigert sich, dieses Spiel mitzuspielen. Er betrachtet und behandelt bestimmte Glaubenssätze und damit verbundene Werte als unverhandelbar. Der Angriff der Medien auf ihn ist ein Angriff auf die Verteidigungsposition, die Grundsätzliches aller abrahamitischen Religionen gegen den Beliebigkeitssäkularismus verteidigt. Leisten jüdische Diplomaten Schützenhilfe bei einem solchen Angriff, greifen sie Werte an, die ihre eigenen sein sollten. Darf der Papst nicht mehr katholisch sein, dürfen bald auch die Moslems keine Moslems mehr und die Juden keine Juden mehr sein.
Es gab in Deutschland einmal einen Versuch, den »Ballast« der abrahamitischen Überlieferung und der ihr innewohnenden Moralität loszuwerden: durch Auslöschung der Juden, durch Gleichschaltung der Kirchen… Die derzeitige Kampagne zielt nach meinem Empfinden mit gänzlich anderen Mitteln aufs gleiche Ziel: Ablösung eines aus prophetischer Überlieferung stammenden Wertekosmos unverhandelbarer Natur durch einen neuen, säkularen, jederzeit verhandelbaren – wie es Politik und Medien gerade passt.
Es wäre zu schön gewesen, hätte die Zentralratspräsidentin Knobloch einmal auf diese Dimension hingewiesen und Werte verteidigt oder gar aufgezeigt, wie phantastisch auch heute noch (oder umso besser) Meinungsmache mit Hatzcharakter durch die Medien funktioniert. In meinen Augen ist in diesem gesamten Geschehen Benedikt XVI. der einzige tatsächliche Diplomat, wenn nicht gar der einzige mit belastbarem Rückgrat.
Am 11. Februar 2009 um 14:32 Uhr
Zur Exkommunikation s.a. Wikipedia: „Exkommunikation als Beugestrafe (excommunicatio ferendae sententiae), die durch ausdrücklichen Urteilsspruch seitens des Bischofs oder des Papstes erfolgt. Diese erfolgt in dem Falle, dass der zu Exkommunizierende öffentliches Ärgernis erregt.“
Am 11. Februar 2009 um 14:38 Uhr
Nachtrag: Der Link oben ist nur ein Hinweis. Ich bin nicht für Exkommunikationen (s. Kommentar b. Wortistik), habe als Nichtkatholik da aber kaum mitzureden.
Am 11. Februar 2009 um 14:56 Uhr
Exkommunikation als Beugestrafe sollte wohl der Vergangenheit angehören. Übrigens zieht auch dies nicht, denn Williamson gab sein Interview ja nach der Aufhebung der Exkommunikation. Hätte der Papst ihn sofort wieder exkommunizieren sollen? Ich finde das lächerlich.
Am 13. Februar 2009 um 19:30 Uhr
Glücklicherweise (bzw. baruch HaShem) ist diese Diskussion um die sogenannte «Ex- oder In-kommunikation» auf der jüdischen Ebene von Sprache und Verständnis nicht vorgemerkt. Wesentlich scheint es mir hier nicht um Strafe und Vergebung zu gehen, sondern um die Frage der Anständigkeit und des Kommunizierens als solches.
Am 14. Februar 2009 um 22:51 Uhr
Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag, der mir, ich sagte es schon, sehr sehr gut getan hat.
Bei Exkommunikation kann ich helfen – im Falle der Piusbrüder handelte es sich um eine excommunicatio latae sententiae, das heißt eine Tatstrafe: Die unerlaubte Weihe von vier Bischöfen zog automatisch, quasi durch die Tat als solche „von selbst“ die Exkommunikation nach sich und hat kirchenrechtlich rein gar nichts mit dem von dirk zitierten Fall einer Beugestrafe (noch dazu wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses *gg*) zu tun.
Am 14. Februar 2009 um 23:07 Uhr
PS: Habe nun auf der Hauptseite bei mir nochmals drauf hingewiesen und zwei Äußerungen mit Link hierher zitiert, wenn das Zitieren nicht gewünscht ist, bitte ich um Meldung.
Am 14. Februar 2009 um 23:19 Uhr
Wer sich nicht zitieren lassen will, darf nicht schreiben. :-)
Am 15. Februar 2009 um 13:41 Uhr
Danke für den Beitrag! Die ruhige und sachliche Auseinandersetzung ist wohltuend. Offenbar kann der Dialog der Religionen gute Früchte tragen.
Am 16. Februar 2009 um 17:49 Uhr
Eine Frage: Gibt es im Leben oder in der Tradition der jüdischen Religionsgemeinschaft etwas der kath. Exkommunikation entsprechendes? Wenn sich die jüdische Lehre (wie ich wohl hoffen möchte) als wahrhaftig und grosso modo als g’ttgegeben versteht, müsste doch ein gravierender Störfall irgendwie geahndet oder zumindest gekennzeichnet werden können. Oder liege ich da ganz falsch?
Danke noch für den obigen Artikel. Im momentanen (nicht uninteressanten!) Wirbel tut ein unaufgeregter und nicht von vornherein liebloser Blick von aussen gut.
Am 16. Februar 2009 um 23:10 Uhr
Nichts entbindet einen Juden von seiner religiösen Verpflichtung. Etwas der Exkommunikation Vergleichbares gibt es nicht, weil es ja keiner der Kirche vergleichbare »Körperschaft« gibt und man als Jude keiner Vermittlung durch Priester bedarf. Spinoza allerdings erlebte beispielsweise eine Ächtung durch die Gemeinde. Sie beraubte ihn bestimmter Ehrenrechte. Zu Zeiten, da Juden sich nicht überall niederlassen konnten, dürfte das ein erhebliches Problem gewesen sein.
»Mildere« Formen einer solchen Ächtung sind in den meisten orthodoxen Synagogen üblich. So wird beispielsweise ein Mann, der mit einer nichtjüdischen Frau lebt oder gar verheiratet ist, nicht zur Torah aufgerufen.
Am 22. Februar 2009 um 05:18 Uhr
Vielen Dank für den verständnisvollen Beitrag.
Der informative Essay Mosebachs, an dem sich die vielen Verfälschungen und Halbwahrheiten brechen können, die bezüglich dieses Falls verbreitet worden sind, kann im Netz »» hier gefunden werden.
Fast unmittelbar nach seinem Erscheinen im SPIEGEL wurde er auch in akzeptabler englischer Übersetzung auf US-Blogs wiedergegeben.
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist der, dass ein Getaufter niemals für die Kirche zum Unberührbaren wird.
Ein Ausschluss aus der Kirche, der die Piusbruderschaft vorgeblich bei der Exkommunikation betroffen haben soll, gibt es in Wirklichkeit nicht und es gibt auch keine Wiederaufnahme in die Kirche. Die verfehlte Analogie mit Parteiausschlüssen, die man diesbezüglich oft hörte, hat unnötig viel böses Blut erregt.
Exkommunikation ist nur ein Ausschluss von den Sakramenten und soll sofort rückgängig gemacht werden, wenn sich der Anlass für die Exkommunikation erledigt hat. Der Getaufte behält immer gewisse Rechte als Getaufter. Er hat einen Rechtsanspruch auf die Rücknahme der Exkommunikation, sobald der Anlass beseitigt ist.
Der Papst war von den Bischöfen der Piusbruderschaft schon zum vierten Mal um Wiederaufnahme gebeten worden, unter starker Betonung ihres Wunsches, sich der Autorität des Papstes zu unterwerfen. Der Papst hatte infolgedessen nicht viel Entscheidungsspielraum, denn der Anlass der Exkommunikation war ja die Insubordination gewesen, ihre Bischofsweihe im Gegensatz zu den Wünschen des Papstes. Hiervon sagten sich die Bischöfe der Piusbruderschaft durch ihre Bitte ja los.
Der Papst hatte auch ein großes Interesse daran, diese Gruppierung wieder in die normale Gemeinschaft zurückzuführen, weil die Gefahr bestand, dass sie sich als ausgestoßene, abgeschlossene immer mehr radikalisieren würde.
Genaueres zu diesem Punkt führt Gary L. Krupp, Gründer und Präsident der jüdischen Stiftung *Pave the Way* aus, die nicht-theologische Hindernisse zwischen den Religionen ausräumen will.
Wer wieder zu den Sakramenten zugelassen wird, wird dies in einer Kirche von Sündern. Die Kirche versteht sich weitestgehend heute nicht mehr als die politische oder gesellschaftliche Ordnungsmacht, die sie noch im Mittelalter war. Somit werden Vergehen, die bereits von der bürgerlichen Gesellschaft hinreichend geahndet werden, nicht mehr mit Exkommunikation bestraft. Neben mir in der Kirchenbank könnte auch ein Mörder sitzen—ohne dass man daraus schließen dürfte, dass die Kirche Mord billigte!
Exkommunikation oder deren Rücknahme besagt nichts hinischtlich der generellen ethischen Einschätzung des Betreffenden.
Zu dem streitigsten Punkt: Der Vater des ersten Bischofs der Piusbruderschaft, Lefebvre, war selber ins KZ deportiert und ermordet worden, u.a., weil er Juden geholfen hatte. Es ist fast ausgeschlossen, dass diese Gemeinschaft von ihren Ursprüngen her antisemitisch war, auch wenn Herr Williamson sich in krauses Gedankengut verrannt und *de facto* Volksverhetzung betrieben hat. An der Ablehnung dieses Vergehens durch die Kirche kann überhaupt kein Zweifel sein.
In diesem Fall sind die Bischöfe auch nicht zu Angestellten der katholischen Kirche geworden. Eine Putzfrau in einem katholischen Krankenhaus ist das, die vier Lefebvrianer sind es nicht.
Mosebachs Artikel enthält gegen Ende einen Hymnus auf die traditionelle tridentinische Liturgie, deretwegen sich die Piusbruderschaft überhaupt gegründet hatte, als diese Form weitgehend durch die postkonziliare abgelöst werden sollte. Dieser Hochschätzung braucht man nicht zu teilen, auch nicht seiner Conclusio über den Ultramontanismus von Katholiken.
Auch unter Abzug dessen aber könnte der Aufsatz aufklärerisch und entlastend wirken, da er hoffentlich klar verdeutlicht, dass im gesamten System des Kirchenrechts und des Sakramentenverständnisses der katholischen Kirche die Rücknahme dieser Exkommunikation unter keinen Bedingungen die Gefühle oder Rechte von Juden verletzen sollte.
Die Menschen, die da jetzt wieder zu den Sakramenten zugelassen sind, sind vielmehr dadurch Aufgabe für die normalen Katholiken geworden, die ihnen wo nötig, und ganz bestimmt in diesem Punkt, bessere Wege weisen müssen.
Am 22. Februar 2009 um 09:00 Uhr
Herzlichen Dank für diesen ausführlichen Kommentar. Aus aktuellem Anlass werde ich heute nochmals auf das Thema zurückkommen.
Am 30. April 2010 um 12:16 Uhr
[…] tendenziöse Unwahrheit von der »Rehabilitierung eines Schoaleugners« wiederholt (siehe auch: »Versagen der Diplomatie« und den ausführlichen Kommentar von Eliza dazu), er zitiert auch nochmals außerhalb […]
Am 2. Dezember 2010 um 11:57 Uhr
[…] Herder Verlag.••• Ich muss mir das mal eben als O-Ton merken mit Bezug auf diesen und jenen Beitrag.via: Elsas Nacht(b)revierIm Rückspiegel: Sie sagt: Bauchhirn (23. 05. […]