WriteRoom – Schreiben ohne Ablenkung
Was Disziplin angeht – sie ist wichtig, wird aber überschätzt. Die wichtigere Tugend für einen Schriftsteller ist Versöhnlichkeit mit sich selbst. Denn dein Schreiben wird dich immer enttäuschen. Deine Faulheit wird dich immer enttäuschen. Du wirst Vorsätze fassen: »Ich werden täglich eine Stunde schreiben«, und dann wirst du es nicht tun. Du wirst denken: »Ich brings nicht, ich bin so eine Niete. Ich bin gescheitert.« Nach dem Kummer dieser Enttäuschung weiter zu schreiben, braucht nicht nur Disziplin, sondern Selbstversöhnlichkeit (die von liebevoller und ermunternder und mütterlicher Zuwendung kommt). Was man sich auch vergegenwärtigen muss, ist, dass alle Schriftsteller meinen, sie würden nichts taugen. Als ich »Eat, Pray, Love« schrieb, hatte ich dieses »Ich brings nicht« wie ein Mantra im Kopf wie jeder, der irgendetwas schreibt. Aber ich erlebte einen Moment der Offenbarung, als ich mich mit dem Gefühl herumquälte, wie unglaublich schlecht doch mein eigenes Schreiben sei und mir klar wurde: »Tatsächlich ist das nicht mein Problem«. Der Umstand, der mir klar wurde, war dieser: Ich hatte dem Universum nicht zugesichert, brilliant zu schreiben; ich hatte lediglich versprochen, dass ich schreiben würde. Also legte ich mich ins Zeug und kämpfte mich durch, wie ich es gelobt hatte.
••• Obiges Zitat stammt von der US-Autorin Elizabeth Gilbert, die auf ihrer Website berichtet, dass und wie sie sich einem Leben als Schriftstellerin »geweiht« hat, wie sich eine Nonne Gott weiht. Aus der Erkenntnis, dass Schreiben um der Aufmerksamkeit und Anerkennung willen nicht viel verspricht, macht sie – und scheinbar mit ihr viele Schreibende – das Schreiben selbst zur Hauptsache. Es einfach tun. Gründe braucht es nicht. Schon gar nicht den, es »brilliant« tun zu wollen.
So ganz nachvollziehen kann ich das nicht. Das Leben eines solchen »Schreibers um des Schreibens willen«, wie sie es skizziert, scheint nicht sehr verlockend: permanente Ablehnung, wenig Geld, Rastlosigkeit etc. etc.
Schon vor Monaten bin ich auf eine Online-Software gestoßen, die diese Idee bereits im Titel auf die Spitze treibt: »Write or Die« (Schreib oder stirb). Ja aber: wozu denn? So geht es mir permanent durch den Kopf. Worin besteht der Sinn am permanenten Verschriftlichen meiner Gedanken, wenn das Ergebnis inhaltlich und/oder gestalterisch nicht »gut« (was immer das bedeutet) ist, von marginalem Interesse, an keines der Vorbilder heranreichend und weit entfernt von den selbstgesteckten Zielen (so es die gibt).
Ich sage mir immer öfter: Würden sie doch nur alle (mich eingeschlossen) die Klappe halten, wenn sie nichts zu sagen haben. Dieses Schreiben Schreiben Schreiben ist eine unerträgliche Manie. Einfach schweigen und – wenn man einen guten Augenblick hat – lesen oder zuhören oder schlafen meinetwegen, nur nicht diese permanente Vermehrung von Textflut, die nicht brilliant, nicht interessant ist, sondern rausgeschwitzt, um nicht zu sterben (also das Selbstbild als Künstler sterben zu sehen).
Wenn es – selten genug – tatsächlich etwas zu sagen gibt und also zu schreiben, dann allerdings halte ich es mit der Disziplin: Write or fail. Aber »Write or die«? Never! Es schreibt sich schon, was geschrieben werden muss.
Am 6. März 2009 um 15:25 Uhr
Die Frage des Wozu gehört eher dem Veröffentlichen gestellt, oder? Ich kann doch singen, wenn ich mag, oder tanzen. Manche Menschen sehen täglich fünf Stunden fern. Warum tun sie das – ohne dass ihnen jemand applaudiert, ohne Lohn und Vergütung, ohne Hoffnung, damit ihre Lage oder die Welt zu verändern? Wieder andere häkeln, obwohl nie ein tragbarer Pullover fertig wird. „Es beruhigt“, sagen sie oder „Ich tu es gern.“ So schreiben eben viele. Auch ich. Ich verdiene zwar mein Geld damit, aber dazu reichen 20% der Schreibzeit, der Rest ist Vergnügen, Spiel, Lust am Ausprobieren, Sammlung Entspannung, Und ja: voll der Ablenkung. Mir wird klarer, was an Infos, Gerüchten und Meinungen auf mich einströmt, wenn ich versuche, meine Gedanken schriftlich festzuhalten. Das meiste davon werfe ich wieder weg, weil ich am Ende einsehe, dass ich Unfug schrieb, mich meine Gedanken in die Irre führten. Ein für mich durchaus nützliches Ergebnis. Natürlich will ich weder einen Kult daraus machen – mein Leben ist nicht „dem Schreiben gewidmet“, ich tu es nur gern – noch es predigen: „Schreibt, das ist das Größte.“ Man kann ja auch kochen oder Geige spielen. Ich kenne eine Analphabetin, die ist weit klüger und glücklicher als ich.
Web, Zeitschriften, Bücher, Radio, TV und Gespräche sind voll von Äußerungen, schriftlich oder mündlich, die keiner braucht. Alle reden und schreiben. Das ist viel zu viel, nur: Stört es denn? Ich muss es nicht lesen, ich muss nicht zuhören. Da hast Recht: „Es schreibt sich schon, was geschrieben werden muss.“ – Aber es liest sich auch, was gelesen werden sollte – und es schadet keinem, dass alle plappern. Wenn doch, klebe ich bei mir gerne Warnhinweise auf: „Vorsicht! Unnutzes Geschwätz.“ Nur denke ich, das wäre Kosmetik.
Betrachtet man das Web oder Teile davon als Raum, in dem man sich aufhält, was wirklich viele tun, jedenfalls reden sie so, dann gilt allerdings, dass wer nicht schreibt, dort auch nicht ist. Wie ich, der ich ungern telefoniere, im Telefon nicht bin. (So sieht dies Sterben wohl aus.)
Am 6. März 2009 um 16:12 Uhr
Aber ja. Allerdings habe ich noch nie eine Headline gesehen »Häkel or Die!«. Wohl deswegen, weil das Schreiben sehr häufig ein Vehikel ist, ein bestimmtes Selbstbild zu pflegen. Wenn es so ist, trifft das obige auch nicht nur aufs Veröffentlichen (jetzt mal im klassischen Print-Sinne) zu, denn es genügt ja das Streben, um das Selbstbild gepflegt zu haben. Ginge es nur um die Freude an der Sache, müsste sich niemand dazu zwingen, also disziplinieren.
Der Ausruf »Write or Die« trifft es demnach blendend: Findet das Schreiben nicht statt, stirbt die Legitimation des Selbstbildes.
Mich führt das zu einer anderen – durchaus ernst gemeinten – Frage: Was ist eigentlich so erstrebenswert am Autor-Sein?
Und als Ergänzung zum Beitrag oben: Ich möchte unversöhnlich bleiben, was das eigene permanente Scheitern angeht. Ich versuche es mit dem Ziel des Gelingens. Hat man schon einmal von Leuten gehört, die ein Instrument lernen und dabei denken: Egal, ob ich es je brauchbar spielen kann? Oder wie lange wird jemand stricken, wenn kein Strumpf, kein Pullover je passt?
Am 6. März 2009 um 16:14 Uhr
Übrigens habe ich ewig gebraucht, Deine Blog-URL zu begreifen. Ich habe mich immer gefragt: Was meint der mit HOR, bis auch ich einmal einen hellen Moment hatte und statt http://die.hor.de las: Die Horde.
Am 6. März 2009 um 17:44 Uhr
Häkeln ohne Pullover? So Leute gibt’s. Mich z.B. Seit 20 Jahren spiele ich Go, regelmäßig, und kann es noch immer nicht richtig. Trotzdem macht es weiter Spaß.
Das ‚die‘ von die.hor.de übersetzte eine US-Zeitschrift schon mal mit „sterben“. Reserviert hatte ich hor.de 96 wegen einer Hyperfiction zum Hornussen. (Heute nur noch Ruine: so hörte es auf, mit dem Duden.)