(7. Psalm)
- Ich weiß es, Geliebte: jetzt fallen mir die Haare aus vom wüsten Leben, und ich muß auf den Steinen liegen. Ihr seht mich trinken den billigsten Schnaps, und ich gehe bloß im Wind.
- Aber es gab eine Zeit, Geliebte, wo ich rein war.
- Ich hatte eine Frau, die war stärker als ich, wie das Gras stärker ist als der Stier: es richtet sich wieder auf.
- Sie sah, daß ich böse war, und liebte mich.
- Sie fragte nicht, wohin der Weg ging, der ihr Weg war, und vielleicht ging er hinunter. Als sie mir ihren Leib gab, sagte sie: Das ist alles. Und es wurde mein Leib.
- Jetzt ist sie nirgends mehr, sie verschwand wie die Wolke, wenn es geregnet hat, ich ließ sie, und sie fiel abwärts, denn dies war ihr Weg.
- Aber nachts, zuweilen, wenn ihr mich trinken seht, sehe ich ihr Gesicht, bleich im Wind, stark und mir zugewandt, und ich verbeuge mich in den Wind.
Bertolt Brecht (1920)
••• Brechts Psalmen – entstanden zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts – waren für mich eine grosse Inspiration. Sind es wirklich Gedichte? Handelt es sich eher um lyrische Prosa? Diese Grenzberührng faszinierte mich, und ich nahm die Idee in vielen Versuchen auf. So entstanden im Frühjahr/Sommer 1989 mehrere „Psalmen“ unter dem Titel „Psalmen an den Dämon“.
Letzter Psalm
Uns ekelt Der eigene körper Im verfall Ekelt uns an unser Wort das Lügt kunst Zu gefallen Hilflos sind wir in unserer allmacht Längst sind die wälder gerodet Begradigt die flüsse Die götter verworfen als saboteure Des fortschritts unnützer trost
Dennoch haben wir städte Gebaut Moderne tempel des baal ziehen uns an Und heimlich beten wir zu ihm Reisst uns der scharfe wind der weht das schiere fleisch von den schlotternden knochen In unserem hunger Höhnt der greise prophet Uns geht es gut
Immer ist fern das ziel Wenn ich suche Mein freund Ruht im Verschwiegnen Gefallen von deinen lippen Wie herbstlaub welk jeder traum Am ende sind wir Noch nicht ganz in mantel und hut Das verbrechen Zieht ein Die verwesung besiegt das vormals ewige
In jenen letzten Monaten der DDR war der Druck unerträglich. Das Vertraute, mit dem sich nicht mehr leben liess, musste sterben. Vor der Zeit des Aufbruchs durchlebten vieler meiner Freunde – wir waren damals zwischen 17 und 20 – eine Zeit heftiger Depression. Denn es war ganz und gar unklar, wie alles ausgehen würde. Schliesslich hätten auch Panzer durch Ost-Berlin fahren können und der Staat seinen Tod noch einmal hinausschieben…
Am 16. Dezember 2010 um 17:20 Uhr
[…] Ich habe darin geblättert und vier Psalmen gefunden, die ich noch nicht kannte. Die Psalmen, Prosagedichte, von denen ich einige in einer von Werner Hecht besorgten Brecht-Gedichtauswahl […]