Wenn sie fliegen wollten, ist es mißlungen
/Daniel/ Wenn Sie fliegen wollten, sagt er, ist es mißlungen.
Ich finde das kleinlich, sage ich ihm. Ich hätte über die Landung nicht sprechen müssen, wenn er davon nicht angefangen hätte.
Es ging um den Absprung, das Flügelschlagen. Ich bin aus allem hinausgegangen: aus der Schlaflosigkeit und den Träumen, die mir nicht gehörten. Ich habe das Mädchen mit dem tanzenden Po zurückgelassen, das Mädchen mit dem Gutenmorgenkuß nachts um zwei voller Gift. Ich bin mir direkt in die Arme gesprungen, und einen Moment lang glaubte ich wirklich, ich würde schweben über der Straße. Ich hätte es nicht besser machen können. Es war der richtige Tag, die richtige Stunde, und ich selbst war der Richtige an diesem Morgen.
Es paßte alles zusammen. Das finde ich noch immer großartig und gar nicht seltsam. Und es ist sehr übertrieben, daß die Fenster meines Zimmers vergittert sind, als wäre ich lebensmüde.
Meine Beine sind bis hoch zu den Oberschenkeln in Gips gelegt. Ich kann nicht einmal aus dem Bett aufstehen, geschweige denn bis zum Fenster gehen oder gar aufs Fensterbrett klettern. Aber mir schneiden die Gitter den Himmel in Streifen und mischen ein Schwarz in die Wolken, in die Luft und das Laub.
Wie lausig und übertrieben. Ich bin durch Wände gegangen und durch geschlossene Fenster. Da kannst du mir nicht ein Gitter in den Weg stellen. Selbst wenn du die Stäbe kreuzt, werde ich durch die Maschen schlüpfen, wenn ich es will.
Perfekt war es nicht, sage ich. Das muß ich wohl zugeben, da ich lange nicht wußte, wer ich war und wohin ich springen wollte, ob ich überhaupt springen wollte und ob ich wirklich gesprungen bin. Es war schon ein wenig verwirrend. Aber wer sagt, daß es einfach sein soll? Rätsel sind zumindest kurzweilig, wenn man sie mag und sich darauf versteht, sie zu lösen.
Dr. Anthony hat eine Schwäche für Rätsel. Deshalb fragt er mich aus. Und deswegen hält er es für besser, mich einzusperren, damit ich ihm nicht mitsamt den Rätseln entwische, die ihn so brennend interessieren, weil er die Waagerechten zu meinem Sprung erraten will und es doch nicht kann, weil ihm zu viele Buchstaben fehlen und die Worte, aus denen die Antwort besteht, in seinem Kopf nicht vorkommen.
Was fehlt ihm nur, daß er mich immer wieder fragen muß? Jeden Tag sitzt er zwischen elf und zwölf an meinem Bett und fragt eifrig und notiert eifrig. Er arbeitet hart für sein Geld. Aber seine Neugier hat auch Glück, daß es Flieger gibt, die zu ihm kommen, die traurigen Bruchpiloten mit vielen Waagerechten zum Erraten.
Also bin ich ein Bruchpilot für seine Rätselstunde, die Rotorblätter geknickt. Er kann dir ja nicht immer stehen, und manchmal kommt man auch einfach zu früh, weil es mit einem durchgeht oder weil es einfach nur raus will. Ich muß ihm schon deutlich antworten, wenn er partout über die Landung reden will.
Wie, frage ich, kann etwas mißlingen, das gar nicht geplant war? Die Landung war nicht vorgesehen. Das sah unser Spiel nicht vor. Es ging nur um den Absprung, das Flügelschlagen, das Schweben über der Straße. Alles andere ist nebensächlich und gewiß nicht so wichtig wie der Streifenhimmel vor meinem Fenster. Der verdirbt mir wirklich die Laune, wenn ich nicht einmal die Schwester küssen kann, wenn sie das Frühstück bringt.
Am Service müssen Sie schon noch arbeiten, sage ich. Aber der Doktor hat keinen Humor vor dem Mittag. Mit leerem Magen kann er nicht lachen.