Die Fremde aß des Gegengottes Haar,
sie wollte wachsen wie die Birkenruten,
der Sonne hold sein und den Mond beguten,
auch eine Hütte haben für das Jahr
der Heiligung und Gold am Heimzahltag.
Mir war sie fremd wie eine Abendspinne,
obwohl sie ständig mir am Herzen lag
und nacheinander alle meine Sinne
zu Waisen machte, um sie zu verkaufen.
Mit meinem Schatten ging sie Wetten-Laufen,
wenn ich erschöpft auf meinen Fersen hockte.
Oft, wenn vor Elend schon das Blut mir stockte,
sang sie als Lerche hoch auf meinem Scheitel,
wo ihr der Gegengott entgegenkam.
Ich ward so scheu, sie aber wandelt zahm
durch meinen Himmel und nennt alles eitel
und fühlt sich heilig unter meinem Dache,
trägt dort des Gegengottes Samen aus.
Mir stellt sie Fallen wie für eine Maus
und ich muß trachten, daß ich ständig wache,
sonst stiehlt sie mir auch noch den letzten Schlag
von meinem Herzen für den Heimzahltag.
Christine Lavant
aus: Gedichte. Suhrkamp Verlag 1988
© Otto Müller Verlag Salzburg 1978
••• Das Leiden der Christine Lavant wird oft auf ihre körperliche Krankengeschichte zurückgeführt. Doch woher rühren solch chronische Krankheiten? Ich bin immer geneigt anzunehmen, dass diese körperlichen Krankheiten Folgen eines ausgeprägten seelischen Leidens sind. Wie gewollt ist in diesem tieffrommen Haus das Kind, das sich nur als „des Gegengottes Samen“ empfinden kann? Das nichts gilt. Dessen Empfinden nichts gilt. Das nicht mithalten kann im Anbetungsmarathon der Mutter, die dabei das eigene Kind seelisch verhungern lässt.
Ich denke natürlich unwillkürlich an das Mutter-Gedicht von Gottfried Benn. Doch welch ein Unterschied zwischen beiden Gedichten! Während das Ich bei Gottfried Benn dabei ist, dem Konflikt zu entkommen, bleibt Christine Lavant – und man darf das lyrische Ich hier getrost als das der Dichterin annehmen – ganz und gar gefangen. Sie erkennt die Situation und kann doch keinen Schritt aus dem Kreis tun.
Ihre eigenen Gedichte sind zum grössten Teil Liebesgedichte – an Gott. Und diese persönliche Tragik, dass sie selbst nicht zur Auseinandersetzung mit den Menschen durchdringt, sondern ihre Auseinandersetzung mit dem Leiden ausschliesslich im Gespräch mit Gott zu bewältigen sucht, das ist es, was meine Euphorie für die Dichtung der Lavant etwas dämpft: Diese Dichtung kommt ganz aus ihr und bleibt ganz bei ihr, und alle – Beteiligte und Unbeteiligte an ihren Konflikten – bleiben draussen. Damit wiederholt sie das Verhaltensmuster der Mutter, das sie in diesem Gedicht so trefflich beschreibt. Als Leser ihrer Gedichte sind wir so nur Voyeure, Belauscher einer Konversation, die nicht uns gilt und die nichts von uns, also anderen Menschen wissen will.
Das ist wie ein Hilferuf, dem gleich hinterhergeschickt wird: Du kannst mir ohnehin nicht helfen.
Am 27. März 2007 um 11:29 Uhr
Hast Du denn ein bißchen über das Leben der Christine Lavant gelesen, Sie nannte sich Lavant weil sie nicht wollte dass die Dorfbewohner in ihrem Dorf erfahren dass sie schreibt, denn schreiben ist in einem so engen Kreis immer noch nicht gerne gesehen. Sie lebte ich glaube mit sieben anderen Geschwistern in einem Raum, oft gab es tagelang nichts zu essen. Christine Lavant hatte von Geburt an eine Hautkrankheit, bekam Tuberkulose und hatte auch schon einen Selbstmordversuch hinter sich.
Sie heiratete einen todeskranken Maler, lebte nicht einen einzigen Tag ohne Schmerzen.
Mit ein bißchen guten Willen kann man so ihre Gedichte begreifen, die jedoch und das ist nicht nur meine meinung, sprachlich unglaublich schön und wenn schön nicht schön im Sinne von Magie oder sonstwas, so sind es doch immer zu einzelne Wörte die einem die Gänsehaut bis ins Blut reinritzenlassen.
Anne Sextion hat ja ein ähnliches, von Katastrophen überhäuftes Leben, wer so lebt und es dann aufschreibt und es dann auch noch in dieser literarischen Stärke aufschreibt, der bekommt zumindestens nach seinem Ableben das was er schon während seines Lebens verdient hat, nämlich eine große Anerkennung.
Am 27. März 2007 um 11:51 Uhr
Ich schreibe doch von ihrem Leben! Und ich frage hier zwei Dinge: Was ist Ursache und Folge in solchen Leidensgeschichten? Wo hören die uns zustossenden Katastrophen auf und beginnen die von uns verursachten Katastrophen? Und ist es nicht eine besondere Tragik, wenn eine Dichterin solchen Formats nicht aus dem Teufelskreis auszubrechen vermag und so in ihrer Dichtung fast ausschliesslich auf sich und Gott bezogen bleibt?
Was dem Kind hier fehlte, war nicht Anerkennung, sondern schlichte Aufmerksamkeit. Das ist ein grosser Unterschied. Ist ein Kind krank und leidet mit körperlichen Symptomen, wird es wenigstens wahrgenommen.
Christine Lavant wollte wahrgenommen werden, auch und gerade durch ihr Schreiben. Hätte sie sonst, nach der Absage auf ihr erstes Roman-Manuskript, restlos alles vernichtet, was sie bis dahin geschrieben hatte? Sie war wieder nicht wahrgenommen worden, auch auf diesem Weg nicht.
Ich versuche es noch einmal, einfach zu sagen: Das sind alles grosse Gedichte, ganz ohne jeden Zweifel. Aber sie gehen im Kreis. Und der Kreis ist klein. Das ist kein Vorwurf, keine Einschränkung der Anerkennung, nur eine Feststellung. Sie ist eine Dichterin des Seelenkerkers, aus dem sie nur einen Ausweg zeigt: den Tod.
Am 27. März 2007 um 11:52 Uhr
Hallo, ihr beiden,
ich lese den Text ganz anders als ihr. Auch wenn ich nun einiges aus eurem Hintergrundwissen zur Biografie der Autorin erfahre.
Für mich steht der Glauben überhaupt nicht im Vordergrund.
Ich lese hier schlicht eine Dreiecksgeschichte und ein Ich, dass sich ziemlich unterlegen fühlt. Gegegott ist für mich ein angebetetes Wesen aus Fleisch und Blut.
„Fremd wie eine Abendspinne“ scheint eine Nebenbuhlerin zu sein, mit der sie befreundet war und die sie schamlos ausnutzte, um an den Gegengott zu kommen.
LG
Biggy
Am 27. März 2007 um 11:52 Uhr
Bitte keine Vergleiche! Man kann ja Benn auch nicht mit Gorki vergleichen, der einen vorzüglichen Roman mit namen „Mutter“ geschrieben hat. Jeder Dichter ist auf seine Weise ein Dichter und Gottfried Benn ist ein bregnadeter und Christine Lavant auch, eben nur eine….eine große
Am 27. März 2007 um 11:58 Uhr
Ich möchte sie aber vergleichen, Hilbi. Und hier noch ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Texten. Benn spricht die Mutter an, Christine Lavant gelingt das nicht, nirgends – DU zu sagen. Es ist beinahe autistisch. So zeigt sie uns mit ihrem ganzen dichterischen Vermögen diese kleine Zelle ihres tragischen Daseins – die Beschreibung des Konflikts. Darüber hinaus erfahren wir nichts. Lösungen nicht in Sicht.
Aber versteh doch, Hilbi, dass das kein Angriff auf die Lavant ist.
Am 27. März 2007 um 12:02 Uhr
Später hat sie ja eine Menge Preise eingeheimst und auch einen vErlag bekommen, vielleicht verstehe ich Dich einfach falsch und möchte meine Christine Lavant einfach bloß verteidigen :-)
Aber nun komme ich mal mit einem Vergleich, über was schrieb denn Paul Celan zeit seines Lebens an, gegen seine Vernichtung, wäre er nicht versteckt worden, wäre er umgebracht worden.
Hätte die Lavant nicht geschrieben, hätte sie sich auch umgebracht.
Sie war ja dauernd auf der Suche nach einem Raum, einen oRt in dem sie schreiben konnte, ich rate dir mal Die Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus zu lesen. Aber ich verteidige Sie obwohl ich sie gar nicht verteidigen muss. Aber schauen wir doch mal bei uns, worüber schreiben wir, ist unser Kreis so weit? Muss er es überhaupt sein?
Ich werde mein lebenlang an Liebesgeschichten knabbern und an seltsame Sprünge und meinem Alkoholismus und dem Alkoholismus meines vaters, das alles war damals sehr eng, ich bin nicht einmal sicher ob es ein Kreis war.
Wie soll die Lavant sich aus dem Dorf bewegen wenn ihr die Mittel gefehlt haben, also das Geld?
Später ist sie ja weg, aber das war viel später.
Dazu fällt mir auch eine Zeile von mAx bRod ein die er an Felice Bauer schrieb, in dem er meinte, wenn die Eltern von Kafka ihren Sohn wirklich lieben würden, würde sie ihm ein HAus irgendwo am Meer schenken und ihm das tun lassen was er kann, schreiben.
Soll man unglücklich darüber sein dass sie es nicht getan haben?
Am 27. März 2007 um 12:03 Uhr
@Biggy. Das sind mir einfach zu viele Requisiten aus dem religösen Vokabular, um Deine Lesart anzunehmen. Aber ja: Wir haben ja alle nur unsere Vermutungen…
Am 27. März 2007 um 12:07 Uhr
Christine Lavant macht es schwer zu interpretieren, aber Biggy schafft es auch bei ihr..:-) war nicht böse gemeint…
Die Lavant hat immer mit sich gehaddert und an einen sogenannten gerechten Gott kann man nicht glauben, sollte es einen geben, bitte sehr, warum macht er sich so rar?
Am 27. März 2007 um 12:10 Uhr
Leute ihr müsst mich stoppen wenn ich Rechthaberisch werde :-)
Am 27. März 2007 um 13:16 Uhr
@Hilbi: Willst Du diese Debatte wirklich beginnen? – Wir haben darüber schon einmal diskutiert. Meine Überzeugung ist: Er ist hierfür nicht zuständig. Die Debatte um den „gerechten Gott“ ist sehr schwierig. Wenn es euch interessiert, suche ich mal eine sehr interessante Debatte dazu aus dem Talmud heraus, wenn meine Bücher wieder im Regal sind. An dieser Stelle halte ich jetzt einfach mal meinen Mund. Hilbi muss ja heute bestimmt auch noch ein bisschen dichten! Davon darf man ihn nicht abhalten. :-)
Am 27. März 2007 um 13:23 Uhr
nein, nein, ich hör dir zu, beeil dich mal ein bißchen a mit dem regal..aber weißt Du, ich rede doch von dem was uns so reingedrückt wird, ich rede jetzt von uns als Christen. Als Kind haben wir immer von einem guten Gott gehölrt und der war immer auch gerecht und hat sich um alles gekümmert.
ich glaube wir sind uns einig darüber, selbst wenn es ihn gibt, warum sollte er sich kümmern, übrigens wird Dir das mit mir immer wieder passieren, das wir wieder und wieder über dasselbe thema reden :-)
so und jetzt geh ich dichten