••• Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Psychoanalytiker über das Thema – nun: was wohl? – Träume. Sie sind das Material, von dem in einer Analyse die hilfreichsten Assoziationsreisen ausgehen. Nur gibt es dabei ein Problem: Man erinnert sich nur an Träume, wenn man in einer REM-Schlaf-Phase erwacht und sich den gerade geträumten Traum unmittelbar vergegenwärtigt. Da der REM-Schlaf in nahezu regelmäßigen Phasen auftritt, kann man sich durch eine ungünstige Länge der Nachtruhe in die Situation bringen, dass man sich nie an seine Träume erinnert. Dichter werden das ebenso bedauern wie die Traumdeuter.
In besagtem Gespräch meinte nun der Analytiker, er stelle sich immer vor, es gäbe irgendwann einmal eine Traumaufzeichnungsmaschine. Ganz gleich, wann man erwache, am Tag danach würde sie auf einem Projektor die Nachtträume wie einen Film abspielen. Ich fand diese Vorstellung auch sehr reizvoll. Bis vor ein paar Tagen…
Die Herzdame, die sich im Web bewegt wie ein Fisch im Wasser, hat mir einen Blog-Link zugeschickt. Die Mail trug den Betreff »Krassomat«. Und das trifft es genau.
Forscher der japanischen »ATR Computational Neuroscience Laboratories« haben eine Technologie entwickelt, die mittels Monitoring des Blutflusses im Gehirn die Extraktion von Bildern und deren Wiedergabe auf einem Monitor ermöglicht. Öffentlich bekanntgegeben wurde die Erfindung am 11. Dezember diesen Jahres im US-Wissenschaftsmagazin »Neuron«, und die Wissenschaftler wurden mit den Worten zitiert:
Bald wird es möglich sein, die Träume von Menschen zu beobachten, während sie schlafen.
Bereits bei dieser Formulierung wurde ich stutzig. Aber es wurde noch besser:
In weniger als 10 Jahren könnten es die Fortschritte in diesem Forschungsbereich möglich machen, mit einiger Genauigkeit die Gedanken eines Menschen zu lesen. (Dr. Kang Cheng, RIKEN Brain Science Institute)
Und schließlich räumt Yukiyasu Kamitani, Forschungsleiter am ATR, ein:
Diese Technologie lässt sich neben dem Sehen auch auf andere Sinne übertragen. In der Zukunft wird es möglich sein, auch Gefühle und andere komplexe emotionale Regungen auszulesen.
Leider liegt mir der Originalartikel nicht vor. Ob dort auch von Psychoanalyse die Rede war und von den moralischen Implikationen des Umstands, dass die hier erforschten Verfahren ohne Zustimmung und Wissen des »Belauschten« anwendbar sind? Gedanken und Traumbilder sind wohl das Intimste eines Menschen. Die Vorstellung, dass künftig nicht einmal sie vor fremdem Zugriff sicher sein könnten, macht aus der ursprünglichen arglosen Vorstellung einer Traumaufzeichnungsmaschine einen Alptraum orwellschen Ausmaßes.
Am 19. Dezember 2008 um 11:22 Uhr
da habe ich mich zum morgenkaffee doch nun einmal wieder richtig amüsiert. das land der mangas, puppen und cartoons ist doch immer wieder herzerfrischend.
das nennt man dann wohl pataphysik. mit ihrer hilfe gelingt es auch, die oberfläche gottes zu errechnen.
aber zurück zum blutfluss… nehmen wir an, ich klipse mir die maschine dann an meine berühmten schwellkörper – das würde die pornoindustrie revolutionieren. was da für bilder drinnenstecken…
Am 19. Dezember 2008 um 11:42 Uhr
Ich glaube, Du verkennst da etwas. Das alles ist durchaus kein Witz und auch keine Meta/Pataphysik.
Ich weiß nicht, wie denkfähig Dein Schwellkörper ist. Wie ich meinen Körper einschätze, entstehen Bilder bei mir doch eher im Kopf. Wie das Bild zeigt, ist das extrahierte Bild noch unscharf und die Formen vergleichsweise einfach. Dennoch finde ich es erschreckend, wie weit fortgeschritten die Technologie bereits zu sein scheint. Die Philosophen und Ethiker hängen einmal mehr zurück.
Am 19. Dezember 2008 um 13:28 Uhr
ich glaube andersherum, du verkennst da etwas. wer da glaubt, im kopf laufe ein bild durch unsere neuronen, das man festhalten könnte, der kann ja nicht anders als ein witzchen gemacht haben. natürlich kannst du an ein gedachtes input – in diesem falle besagten blutstrom – ein konzipiertes output anschließen. aber wenn irgendjemand denkt, er träume gerade von seiner freundin und das bild dieser freundin sei tatsächlich im kopf als bild vorhanden und abbildbar, den muss ich dem naiven realismus zurechnen, wenn ich ihn nicht gar für ganz und gar bekloppt halte.
und dass die philosophie irgendwo hinterher wäre, das sehe ich nicht. das alles ist ein alter hut, den neurowissenschaftler und psychologen schon seit den 40iger jahren diskutieren. und von welcher „fortgeschrittenen“ technologie soll hier die rede sein? ich sehe da eine blödsinnige argumentationskette wie man sie auch von den kreationisten her kennt.
was aber wahr ist, dass der gewöhnliche mensch gar nicht weiß, wo sich die wissenschaft und philosophie gerade aufhält. deshalb mag dich erschrecken, was mich maßlos erheitert.
Am 19. Dezember 2008 um 15:33 Uhr
Das wird auch nicht behauptet. Der Computer beobachtet die Neuronenaktivität, muss also von der Versuchsperson »eintrainiert« werden. Wesentlicher Qualitätssprung ist hier, dass der Computer nicht nur sagt: Er denkt sich ein A. Stattdessen ist eine Decodierung der gelernten Aktivität in ein Bild möglich.
Ich kann mir vor dem Hintergrund meiner Arbeiten im Bereich neuronaler Sodtwaresysteme ein solches Decoding durchaus vorstellen. Bevor ich da von einer Ente rede, würde ich den Artikel schon genauer gelesen haben wollen.
Am 19. Dezember 2008 um 15:39 Uhr
also bitte. ich sprach nicht von einer „ente“. aber du darfst das freilich gerne glauben, was da steht.
ich kann auch mit meinem atemrhytmus ein bild erzeugen. natürlich kannst du alles visualisieren. davon rede ich nicht. auch eine lichtorgel visualisiert logarythmen. na und? hier geht es um ein traumbild. aber es handelt sich nun einmal um eine tatsache, dass wir überhaupt nicht in bildern träumen, es erscheint uns nur so. es ist übrigens auch falsch, was du über die REM-phase und das erinnern schreibst. wobei „falsch“ nicht der richtige ausdruck ist. aber es ist eben auch nur ein längst überholtes verständnis. im grunde wollte ich nur mitteilen, dass mich das amüsiert. es darf ja jeder auf seinem stand beharren, keine frage.
Am 19. Dezember 2008 um 15:42 Uhr
Man muss hier unterscheiden zwischen dem tatsächlich Realisierten und den Visionen, die von den Zitierten geäußert wurden. Im Moment wird ja lediglich der betrachtete Buchstabe rück-visualisiert. Ob das jemals auf Träume/Gedanken analog anwendbar ist, bleibt noch eine ganz andere Frage.
Am 19. Dezember 2008 um 15:53 Uhr
was anderes meinte ich ja auch nicht. besehen wir es genau, werden träume ja schon lange aufgezeichnet. nur wird eben kein kinofilm draus. ich bin durchaus der meinung, dass wir, wenn wir erkennen, welche gehirnareale in bestimmten phasen arbeiten und sie durch die aufgezeichneten impulse entschlüsseln, rudimentäre angaben darüber machen können, wie etwa der trauminhalt zu analysieren sei. das verfahren erscheint mir jedoch viel zu abstrakt, um tatsächlich auf das phänomen der visualisierung stimmig eingehen zu können. das problem hierbei scheint mir das gleiche wie in der neurowissenschaft ganz allgemein zu sein, dass kein weg am bewusstsein vorbei führt. da wir nicht wissen, was bewusstsein überhaupt ist oder wie und wo und warum es entsteht, wissen wir auch nicht, was im traumzustand bewusst wird. dieses bewusstsein aber ist in diesen momenten identisch mit dem trauminhalt und sorgt erst für das bild. man muss sich als erstes einmal fragen, warum wir überhaupt annehmen, dass wir etwas sehen. und da spielt unglaublicherweise der sehnerv, bzw. das gehirnareal, das visuelle eindrücke erst verarbeitet, eine wichtige rolle, das sogar bei blinden menschen sehr intakt ist. das bedeutet: unser visualisationstalent hat in primär nichts mit den augen zu tun. die augen sind da nur ein kleiner unbedeutender ableger davon. das ist ja das eigentlich fantastische. wir denken, wir sehen beständig bilder. in wirklichkeit ist da nur ein chaos von teilchen vorhanden. völlig undurchschaubar. aber irgendetwas ordnet das für uns ganz wunderbar an.
die japaner setzen bereits prämissen, die ihrerseits überhaupt nicht verifiziert werden können. und wenden wir die altherkömmliche logik-maschinerie an, dann kann, wenn a falsch ist, b nicht plötzlich richtig sein.