••• Das Lektorat der »Leinwand« steht kurz vor dem Abschluss. Diese Woche noch sollen die Typoskripte an die Verlage geschickt werden, die es nach Gesprächen auf der Buchmesse angefordert haben. Sieben sind es und alles große Namen. Die Spannung ist nun kaum noch auszuhalten. Man wird sehen, wie lange es dauert, bis Reaktionen kommen, und wie diese dann ausfallen werden.
Das Lektorat ist eine Demutsübung. Immer wieder gibt es Blöcke von Vorschlägen – es geht fast immer um Streichungen – bei denen es mich spontan durchfährt: Ja, geht’s noch?! Aber ich habe nach den ersten Schocks dieser Kategorie beschlossen, die Kapitelfassung mit den vergeschlagenen Kürzungen nochmals auszudrucken und erneut am Stück zu lesen. Fast immer hatte die Lektorin recht. Es ging nichts verloren. Und das Kapitel wirkte hinterher runder, klarer und »schneller«.
Nur an ganz wenigen Stellen habe ich mich geweigert – wenn ich genau die Beruhigung im Fluss wollte. Dennoch kam mir immer wieder der Gedanke: Wie verkorkst ist der Blick auf die Literatur bereits? Jeder Satz muss sich die Frage gefallen lassen, ob er entweder die Handlung voranbringt oder doch zumindest zum Gesamtthema beiträgt. Wie steht es um Klang? Wie steht es um bewusste Verlangsamung im Fluss des Textes? Gelten denn für einen Roman heute automatisch die Gesetze der schnellen Schnittfolgen aus Filmen und MTV-Clips?
Es gibt ganze Kapitel mit kaum einer Anmerkung. Und es gibt andere, in denen es davon nur so wimmelt. Demutsübung. Kann es denn sein, dass man von Kapitel zu Kapitel in so unterschiedlicher künstlerischer Form gewesen ist? Und warum, verflucht, hat man diese Problemstellen nicht einmal in der 2. und 3. Korrektur bemerkt? Mitunter ist die notwendige Verbesserung derart offensichtlich, dass ich nicht begreifen kann, warum ich nicht selbst darauf gekommen bin. Das kratzt am Selbstbewusstsein. Aber ich schlucke diese Irritationen herunter. Es geht um den Text, nicht um den Autor. Ich denke, das muss man sich als Mantra vorsagen, wenn man nach Abschluss einer solchen Arbeit ins Lektorat einsteigt.
Erschreckt hat mich übrigens auch die »Angebotsstrategie«. Die Agentin richtet sich hier natürlich ganz nach ihren Erfahrungen und den Gegebenheiten des Verlagsgeschäfts. Jene Lektoren, die nach dem Gespräch den Text anforderten, haben lediglich ein Extrakt aus dem 1. Kapitel Zichroni plus Anriss der folgenden vier Zichroni-Kapitel zu hören bekommen. Kein Wort über Wechsler und die in diesem Fall doch außergewöhnliche Komposition. Der »Verkauf« an den Verlag scheint nicht anders zu funktionieren als der Verkauf an den potentiellen Leser in der Buchhandlung: ausschließlich über den Klappentext, der sich auf einen Handlungsabriss beschränkt. Das hat mich erstaunt. Und es erklärt vollständig, warum ein Text, der einer »erzählverweigernden« Poetik folgt, in den Verlagen wahrscheinlich nicht einmal angesehen wird.
Aber vielleicht ist es gut, wenn die Lektoren das Script nun in die Hände bekommen und feststellen, dass jener Abriss, der bereits ihr Interesse weckte, nur einen Bruchteil des Charmes dieses Buches ausmacht.