••• Amnon Zichroni hat Anfang der 80er Jahre in den USA Medizin studiert und seine Ausbildung zum Psychiater absolviert. Diese Ausbildung variiert von Land zu Land sehr stark. Unterschiedliche Gesetze erfordern in jedem Land und sogar innerhalb eines Landes aller paar Jahre wechselnd verschiedene Ausbildungsstufen. Ich musste mich also informieren, wo und wie man in den 80ern in den USA studieren und arbeiten musste, wenn man Psychoanalytiker werden wollte.
Mir wurde ein Kontakt zu einem amerikanischen Psychotherapeuten vermittelt, der genau zu dieser Zeit studiert hat und mir alle nötigen Auskünfte geben konnte. Von diesen »Facts« abgesehen war ich allerdings auch auf der Suche nach einem echten Fall, den ich als Zichronis Initiation in die »Leinwand« aufnehmen könnte. Also fragte ich besagten Therapeuten, und es stellte sich heraus, dass er vor Jahren selbst eine Fallstudie geschrieben hatte. Sie sei noch unveröffentlicht, aber da der Case phantastisch zur »Leinwand« zu passen schien, erklärte er sich bereit, mir die Studie zur Verfügung zu stellen. Sie kam prompt per Mail, und ich nahm sie mit in den Urlaub auf Fuerteventura.
Sobald ich angefangen hatte zu lesen, war mir klar, dass es sich bei dem Script nicht einfach nur um eine case study handelte, sondern um ein Romanmanuskript. Eigentlich hätte ich es sofort beiseite legen und mir die Details des beschriebenen Falles gar nicht erst durchlesen sollen. Habe ich aber nicht. In das 8. Zichroni-Kapitel sind diverse dieser Details eingegangen. Immerhin habe ich zu einem erzählerischen Trick gegriffen, so dass ich nicht über die eigentliche Therapie schreiben musste, sondern lediglich Begebenheiten aus der Kindheit und Jugend der Patientin schildern konnte, die zur letztlichen schweren Essstörung geführt hatten.
Der hilfsbereite Amerikaner war nicht amüsiert. Ich habe das Kapitel ins Englische übersetzen und ihm zukommen lassen, um ihm zu zeigen, dass ich aus den Details seiner »true story« etwas ganz anderes gemacht habe. Überzeugen ließ er sich jedoch nicht und forderte, dass ich alle Bezüge zu seinem Material entferne.
Der Zichroni-Strang ist unterdessen lektoriert und von mir nochmals komplett durchgesehen, also eigentlich fertig. Nur muss ich nun am offenen Herzen operieren und ein eigentlich rundum stimmiges Kapitel sezieren, um eine Biographie durch eine andere zu ersetzen. Ich werfe den Fall nicht vollständig über Bord. Das Krankheitsbild dürfte häufig vorkommen. Auf eine solche Beschreibung hat niemand ein alleiniges Recht. Die biographischen Details müssen natürlich geändert werden. An drei Stellen im Kapitel Z.08 muss ich nun frickeln.
Immerhin: Ich habe eine alternative Story gefunden. Markus A. Hediger hat mir von einem anderen »true case« berichtet, den ich adaptiere und mit Erinnerungen aus meiner eigenen Kindheit ergänze. Ich habe das Gefühl, diese Geschichte wird am Ende stärker und plausibler sein. Und diese Vorstellung gibt mir die nötige Motivation, etwas eigentlich Fertiges und Gelungenes nochmals einzureißen und neu zu machen.
Dennoch ist die ganze Geschichte frustrierend, und ich bin mir nicht sicher, ob man mich nach den geplanten Änderungen nicht noch immer vor Gericht zitieren könnte…