Black Polish

5. November 2008

Emaillierung eines Zifferblattes (Cartier)
Emaillierung eines Zifferblattes (Cartier)

••• In einem der Wechsler-Kapitel in der »Leinwand« kommt eine meiner Leidenschaften zur Sprache: die haute horlogerie. Perfektioniertes handwerkliches Können, Ästhetik, Mechanik, Miniaturisierung – wo soll man anfangen, wo enden?

Die »Fondation de Haute Horlogerie« unterhält eine Website, deren Ziel es u. a. ist, der jüngeren Generation die Faszination an den vielen alten Handwerksberufen zu vermitteln, die bei der Entstehung einer mechanischen Uhr eine Rolle spielen.

Einer der letzten Ausgaben von »Vanity Fair« lag eine DVD bei mit der gesamten Video-Collection der »Fondation de Haute Horlogerie« zu den der Uhrmacherei nahen Berufen – 11 Filme zu je 3 min. Die Filme können auch online über die Website der Fondation angesehen werden. Besonders fasziniert hat mich die Kunst des Emaillierens.

Zum Thema passend noch ein bemerkenswertes Video über eine ganz außergewöhnliche Großuhr, die Corpus Clock.

Corpus Clock mit Grashopper-Hemmung

 

Ich wollte nicht weniger als das irgend erreichbare Optimum für diesen Text. Ich feilte und polierte immer wieder an Passagen, einzelnen Sätzen und mitunter sogar an einzelnen Satzzeichen, eine Technik, die ich insgeheim »black polish« nannte.

Gelesen hatte ich davon in einem Buch über Handwerkstechniken der haute horlogerie. Ich sammle Bücher über die Kunst des Uhrenbaus, Bildbände mit Fotos historischer Werke, Kataloge diverser Manufakturen und natürlich auch – und dieser Umstand macht meine Leidenschaft kostspielig – die Uhren selbst. Es gibt kaum etwas, das sich ästhetisch messen kann mit einem gelungenen Gedicht. Das Vergnügen allerdings, das ich erlebe, wenn ich ein veredeltes, komplexes Uhrwerk in hellem Licht unter der Lupe betrachte, kommt diesem Genuss immerhin sehr nahe. […]

Beim »black polish« werden unter Verwendung verschiedener Pasten, Stoffe und Hölzer Einzelteile mechanischer Uhrwerke veredelt. Die Oberfläche des Stahls wird dabei so plan und glatt, dass sie bei einem bestimmten Einfallswinkel des Lichts tiefschwarz erscheint. Betrachtet man ein solches Einzelteil später, im Werk verbaut, unter wechselndem Licht, wirkt es zunächst vielleicht wie ein Spiegel. Im nächsten Moment jedoch, wenn man es nur leicht neigt, scheint es das Licht vollständig zu absorbieren, und der Blick des Betrachters versinkt in diesem schwarzen Spiegel wie in einem tiefen Spalt, der sich plötzlich zur Unendlichkeit hin aufgetan hat.

Eine solche Wirkung erhoffte ich mir für meine Prosa und wollte nicht aufgeben, bevor ich mit meinen Worten nicht wenigstens in die Nähe des anvisierten Ideals vorgedrungen war. Es geht in der Kunst nicht um Bescheidenheit und Demut. Und das Vorhaben, an dem ich mich verausgabte, war ebenso wenig bescheiden wie ich selbst. Mitunter kam es mir sogar größenwahnsinnig vor, und mein obsessiver Umgang mit den Worten erschien mir gelegentlich krankhaft.

Ich meinte dennoch, über die Jahre Fortschritte zu machen; und als ich schließlich eines Tages beschloss, dass ich nun aufhören könnte, da hatten sich Figuren und Geschichten unter meinen Händen, in meinem Kopf und meinem Empfinden so häufig verändert, dass ich ihre Entstehungsgeschichte nicht mehr hätte nachzeichnen können. Ich las in meinem eigenen Text, streifte in ihm umher wie in einem fremden Haus, dessen Wände aus schwarzpoliertem Stahl bestanden. Im einen Augenblick hatte ich einen Spiegel vor mir und blickte mir mitten ins eigene Auge. In der nächsten Sekunde jedoch lag vor mir nichts anderes mehr als tiefes Schwarz, eine durch nichts begrenzte ungeheure Leere, in die ich mich fallenließ.

aus: „Die Leinwand“ (Jan Wechsler)
© Benjamin Stein (2008)

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