••• Eben treffe ich via Spreeblick und YouTube einen Bekannten wieder: Maxim Biller. Und ich mache mir bei diesen Bildern Gedanken darüber, wie alt ich wohl geworden sein mag. Er möge mir das nachsehen.
Wir haben die Orte gewechselt. Als wir uns kennenlernten, lebte er in München und ich in Berlin. Jetzt fährt Malte mit ihm Wartburg in meiner alten Heimat, und ich finde inmitten Münchens das Buch nicht mehr, mit dem er mich initiiert hat. Das war „Wenn ich einmal reich und tot bin“, auf dem Cover ein Junge mit Cowboyhut und umgeschnallten Colts. Weil ich es nicht finde – es taucht beim Umzug nun hoffentlich wieder auf – kann ich an dieser Stelle nichts zitieren. Aber das lässt sich ja nachholen.
Als ich seine Erzählungen durch einen Zufall in die Hand bekam, hat es mich umgehauen. Er übertreibt es ja oft ein wenig oder auch ein wenig mehr. Aber Himmel, der Mann hat Power! Frech sein, das konnte ich vor dieser Lektüre in meinen Texten gar nicht. Farbe bekennen – auch so eine Schwierigkeit, die ich hatte. Er nicht.
Als diese Erzählungen erschienen, gab es etwa 10.000 Juden in Deutschland. Und es wurden immer weniger, weil die Überlebenden, wenn sie es sich leisten konnten, ihre Kinder zur Ausbildung ins Ausland schickten. Oft kehrten sie gar nicht erst zurück, sondern blieben in Israel, England, den USA. Das ganze jüdische Leben hier hatte etwas von Alte-Leute-Veranstaltung und unerträglichem Druck aus dem Gestern.
Ich trug mich herum mit einem jüdischen Thema für einen Roman, eine Familiensaga mit mystischem Hintergrund, die natürlich auch geprägt war von Toten und Exil. Aber darum sollte es nicht gehen. Wie kann man überhaupt über solche Themen schreiben als deutscher Autor? Maxim konnte mir diese Frage nicht beantworten. Aber seine Erzählungen und seine provokante Art gaben mir eine Vorstellung. Ich war nicht seiner Ansicht. Ich dachte nicht, dass es so sein müsste. Ich rieb mich an diesen Texten, lehnte vieles ganz leidenschaftlich ab. Aber aus dieser Ablehnung heraus kam mir eine Vorstellung, wie es mir gelingen könnte, die geplante Geschichte zu erzählen. So waren Maxims Erzählungen der vielleicht wichtigste Katalysator dafür, dass es mit dem „Alphabet des Juda Liva“ überhaupt etwas wurde.
Kennengelernt habe ich zunächst also nur seine Texte. Ihn selbst traf ich später in Klagenfurt. Er war mein Mentor beim Bachmann-Wettlesen. Ich kann versichern, dass es nicht leicht ist, mit Maxim als Mentor irgendwo aufzutauchen. Er hat einfach zu viele leidenschaftliche Feinde, die jede Gelegenheit allzu gern wahrnehmen, ihm eins auszuwischen, wenn sich auf irgendeinem Podium dazu die Möglichkeit ergibt. Aber wir haben das jeder für sich recht unbeschadet überstanden.
Weil das erwähnte Buch so wichtig für mich war, habe ich ihn immer ein wenig im Auge behalten. Aber – ich gebe das zu – nie wieder etwas von ihm gelesen. Ich habe das bereut, als ich ihn auf einer Lesung im Literaturhaus in München aus seinem Roman „Die Tochter“ vorlesen hörte. Er machte weniger Feuerwerk, weniger Effekte. Er schrieb jetzt nicht mehr nur über elementare Themen, sondern erzählte sich auch ans Elementare der Dinge heran. Aber auch danach habe ich weder dieses noch ein anderes seiner Bücher aufgeschlagen.
Erzählt habe ich ihm das natürlich nicht, wenn wir uns – was dann noch ein oder zweimal geschah – zufällig trafen. Und ich hätte auch gar nicht sagen können, warum ich ihm als Autor diese Kränkung angetan habe. Verdient hat er sie nicht.