Vor Perücke und Seidenfrack
waren die Ströme, Ströme arterienhaft,
waren die Kordilleren, auf deren kahler Welle
der Kondor und der Schnee unbeweglich schienen:
war die Feuchte und das Dickicht, der noch
namenlose Donner, die Planetensteppen.
Erde war der Mensch, Gefäß, Lidschlag
des zitternden Lehms, Gebild aus Ton,
war karibischer Krug, Chibcha-Stein,
kaiserlicher Pokal oder araukanischer Kiesel.
Zart und grausam war er, aber in den Knauf
seiner Waffe, aus benetztem Kristall
waren eingezeichnet
der Erde Initialen.
Niemand vermochte
später sich ihrer zu erinnern: der Wind
vergaß sie, die Sprache des Wassers
wurde verscharrt, die Schlüssel gingen verloren
oder wurden von Schweigen überflutet oder Blut.
Nicht verloren ging das Leben, hirtenhafte Brüder.
Doch einer wilden Rose gleich
fiel ein roter Tropfen ins Dickicht,
und eine Erdenlampe erlosch.
Ich bin hier, der Geschichte Lauf zu erzählen.
Vom Steppenfrieden des Büffels
bis zu den gepeitschten Gestaden,
wo die Erde endet, in den angehäuften
Schäumen des antarktischen Lichts
und in den steilabstürzenden Felshöhlen
des düsteren venezuelischen Schweigens
suchte ich dich, mein Vater,
junger Krieger aus Dunkelheit und Kupfer,
oder dich, bräutliche Pflanze, Haarflut unbändig,
Kaimanenmutter, metallische Traube.
Ich, Inkamächtiger des Schlammes,
rührte an den Stein und sprach:
Wer
erwartet mich? Und preßte die Finger
um eine Handvoll tauben Kristalls.
Aber zwischen Zapotecablüten schritt ich,
und sanft wie ein Edelwild war das Licht
und der Schatten ein grünes Augenlid.
Du mein Land ohne Namen, ohne Namen Amerika,
der Äquinoktien Blütenfaden, Purpurlanze,
dein Duft klomm auf zu mir durch die Wurzeln
bis zur Schale, die ich leerte, bis zum zartesten
Wort, noch ungeboren von meinem Mund.
Pablo Neruda spricht: Amor América (1400)
El hombre tierra fué, vasija, párpado
del barro trémulo, forma de la arcilla,
fué cántaro caribe, piedra chibcba,
copa imperial o sílice araucana.
Tierno y sangriento fué, pero en la empuñadura
de su arma de cristal humedecido,
las iniciales de la tierra estaban
escritas.
Nadie pudo
recordarlas después: el viento
las olvidó, el idioma del agua
fué enterrado, las claves se perdieron
o se inundaron de silencio o sangre.No se perdió la vida, hermanos pastorales.
Pero como una rosa salvaje
cayó una gota roja en la espesura
y se apagó una lámpara de tierra.
••• Auch die Neruda-Ausgabe für die Nobelpreisfreunde (nach Quasimodo und Mistral) vom Coron-Verlag in Zürich konnte ich gebraucht kaufen. Das ist ein richtiger Schatz. Ich habe so viele starke Gedichte darin gefunden, die ich bislang noch nicht kannte – vor allem aus Nerudas jüngeren Jahren.
Und dann, dann ist etwas ganz Eigenartiges geschehen: Ich verstehe kein Spanisch. Die obige Aufnahme von Neruda habe ich jedoch früher sehr oft gehört, ohne zu verstehen, was Neruda da deklamierte. Nun las ich Amor América in meinem neuen alten Buch und erkannte beim Lesen der deutschen Übertragung sofort das Gedicht wieder, das ich – von ihm spanisch gesprochen – so oft gehört hatte.
Am 12. März 2007 um 07:17 Uhr
Das ist ja mal ein Geschenk..Neruda zu hören, ich danke schön
Am 22. Oktober 2009 um 23:53 Uhr
[…] spielte die Herzdame eine ungeheuer dramatische Rezitation ab. Ich fühlte mich erinnert an Neruda. Aber es war Französisch: Guillaume […]