Am Morgen
erwache ich wie eine Gazelle
freudig im Busch
und warte auf dich.
Am Mittag,
vergraben zwischen Blumen,
male ich deinen Namen
in den Bauch der Flüsse.
In der Dämmerung,
bebend vor Liebe, ducke ich mich
und warte darauf,
daß du kommst in der Nacht,
daß du kommst und dich niederläßt
wie ein Vogel auf mir
und deinen Körper
über mir schwingst
wie eine Fahne.
Gioconda Belli, aus: „Zauber gegen die Kälte“
© Peter Hammer Verlag 1992
••• Als wäre es eine Antwort auf das Gedicht von gestern…
Unter den Autoren in der erwähnten Anthologie ist eine Dichterin, die auch in Deutschland zu grösserer Bekanntheit gekommen ist: Gioconda Belli. Liebesgedichte mit erotischem Touch, das ist das Label, das ihr anhaftet. Mir ist das, um ehrlich zu sein, ein wenig zuviel von Schenkeln, Fruchtfleisch und Lilienknospen geredet. Doch nicht überall – wie zum Beispiel hier, in diesem Gedicht.
Weniger bekannt dürfte sein, mit welcher Kraft Gioconda Belli zur Zeit vor und während der Revolution in Nicaragua gegen den Diktator Somoza angeschrieben hat. Morgen gibt es eine Kostprobe davon.