echos
mein körper speichert echos: wusste ich und hab es unterschätzt.
er sagt, so einfach ist es nicht, du kannst nicht eine fremde hand
durch eine fremdere ersetzen. für beide zahlst du schließlich
und wenn die neuste dir über deine arme fährt (»ein-
atmen. ja, da.«), finger in deine misst, anweisung gibt
dann rufe ich was ab: bekannt ist nicht korrekt
vertraut ist nicht bekannt, ich schicke salz als reaktion
du zahlst mit allem, was du an kontrolle hast, und deinen
atem lass ich nicht in ruhe. so rachsüchtig wie ich
kannst du nicht sein, verscheuchst uns, was ich
brauchte, weil du glaubtest, mehr sei angemessen
nun hat die herde an gelegenheiten ein gerissnes
schaf im plus zu hüten, schick ich neue hunde
in deinen kreislauf morgens. bin eine höhle
hier bin ich, lern mit meinen echos rechnen.
Katharina Schultens
aus: »untoter schwan«
© 2017 kookbooks
••• Man könnte meinen, hier würden nur noch Geburten und Todesfälle annonciert. Tatsächlich habe ich schon überlegt, hier den Schlüssel umzudrehen wegen des anderen Schlüssels, dem »in meinem Rücken«.
ich habe nichts mehr übrig an weichheit über das hinaus
was ich an weichheit für dich habe und für mein kind.
schon meine mutter kommt zu kurz, ihr herz stockt.
Hat alles so seine Zeit.
Und dann erwähnte ANH nebenan kürzlich Katharina Schultens. Das Buch kam, eine Zugreise stand an gestern, und wenn man auf Reisen geht, kann einem schon was widerfahren …
Es gibt ja Texte, die gehen uns einfach nicht an. Auf diesem Berg landet sicher das meiste. Ab und an begegnet man einem Gedicht, das man interessant findet. Selten, dass ein Vers uns wirklich berührt, auf der nackten Haut gewissermaßen. Und dann gibt es noch jene wirklich raren Exemplare, die poetischen Ausnahmemomente, wenn es nicht einfach Berührung ist, sondern der Vers uns trifft, in uns eindringt, uns durch-dringt. Das sind jene Verse, die man sich notiert und bei sich trägt, oder die man sich gar nicht zu notieren braucht, weil man sie sofort auswendig oder ‐ wie man dafür im Hebräischen sagt ‐ im Herzen weiß.
!bis gleich sagt mein herz es sagt immer bis gleich es meint immer bis dann es sagt niemandem jemals bis wann
Als unbedarfter Leser darf man sich dann zurücklehnen oder meinetwegen auch hintenüber in Ohnmacht fallen und sich so der Gewalt des Augenblicks hingeben. Dichter dürfen das dammich nicht ‐ oder können gar nicht. Das ist das Salieri-Ohr. Warum blutet das jetzt? will man wissen. Das Unerhörte daran ist ja, dass wir dafür nicht gemacht sind, dass uns die Klinge so widerstandslos ins Fleisch geht. Hypnotiseure wissen das. Man muss unser Bewusstsein ablenken, damit die Schutzwälle fallen und ein Wort, das imstande ist, wirklich etwas in uns an- oder gar umzustoßen, überhaupt zu uns durchdringen kann. Das ist die Kunst, meinetwegen auch bardisches Handwerk: Rhythmus, Klang, die Musik des Textes, auch sein Bild, wie die Buchstaben tanzen, die Zeilen fließen.
Das Handwerk zielt auf Resonanz. Denke an Brücken, die unterm Gleichschritt von Wenigen zu vibrieren beginnen und sogar zusammenbrechen können. Resonanz ist Wiedererkennen. Wir erkennen uns wieder oder etwas in uns erkennt sich wieder und nimmt resonant das Schwingen an und schaukelt uns auf. Auf manche handwerkliche »Tricks« resonieren Viele. Herzschlag = Beat. Wenn man den Groove hat, wippt man beim Jazz unwillkürlich. Für Unterhaltung ist das genug. In Resonanz, wenn sie nicht übertrieben wird, kann man sich wohlfühlen, so eingeschwungen auf gleiches Maß. Aber Resonanz kann auch genau das Maß an Ablenkung sein, das die Schutzwälle aufweicht. Und wehe, wenn dann etwas wahr gesagt wird, vorausgesetzt denn, dass man etwas zu wahr(-)sagen hat.
sanfte dinge weiß ich zu sagen als wären sie wahr
alles krasse sag ich. den schnitt seht ihr später
Da geht die Klinge dann halt glatt durch.
Meist sind es die Toten, who give us the chill. Das bringt uns in Distanz zum Orakel und damit in die Zone komfortabler Sicherheit. Widerfährt uns dergleichen von Zeitgenossen, ist der Komfort gemindert. Wenn der oder die das kann, klingen uns die Salieri-Ohren rechts wie links, dann sollte doch … wenn denn nur …
… dieser unterschied zwischen
es macht nichts, dass es bereits alle zeilen gibt, und:
nichts abzuschneiden, nichts
Das muss man auch erst mal können.
Ich habe also Katharina Schultens gelesen. Viel zu spät. Immerhin ist »untoter schwan« schon ihr vierter Band. Unter ihren nicht wenigen Preisen ist auch der »Leonce-und-Lena-Preis 2013«. Fanfaren genug, um sie gehört zu haben. Habe ich aber nicht, sondern erst jetzt. Und diese späte Bekanntschaft ist verstörend und beglückend. Da wollte ich doch schon abschließen hier. Und nun habe ich nicht nur Lust, wieder zu lesen, sondern auch, wieder zu schreiben, ganz wie ich es 2006, als dieses Blog begann, beschrieben habe.
Warum blutet das jetzt? will man da wissen.
Die lange Vorrede und der Link auf Pound haben ihren Grund. Ich musste für mich selbst erst einmal neu die Kriterien einsammeln. Denn zunächst stand ich einfach be- und getroffen da und hatte nichts als Vermutungen.
Von wegen Resonanz! Die Schultens singt nicht in meiner Tonart, dachte ich. Stimmt nicht, weiß ich jetzt, aber erst jetzt. Sie hält Worte wie »krass« für Lyrik-tauglich und schmeißt englisches Zeug in Verse, wer braucht denn sowas? Braucht man schon mal, weiß ich jetzt, aber erst jetzt.
Ich bekomme diese Verse nicht von der Haut und sage wie im Mantra Namen auf: Mistral, Plath, Bachmann, Mayröcker, Grasnick, Materni. Aber was hat denn Katharina Schultens mit denen gemein? Wie komme ich überhaupt darauf, sie in einer solchen Reihe zu denken?
Die handwerkliche Meisterschaft ist atemberaubend. Schultens beherrscht ihr Instrument so sehr, dass man vergessen kann, dass gespielt wird. Wie da in »echos« im Übergang aus dem schreitenden Versmaß der Lektion der Atem ins Stolpern gerät, wenn die Berührung ins Spiel kommt … Oder der Herzgalopp in den oben zitierten Schlusszeilen von »es war inkorrekt zu träumen« … Aus dem »Schäfchen im Trockenen« wird »ein gerissnes schaf im plus«. Das ist so kühn wie gekonnt. Und man kann das beinah beliebig fortsetzen. Das bardische Handwerk beherrscht sie nach Belieben. Aber es gibt keine einzige Stelle von Kälte des Virtuosen. Das kommt einfach nicht vor, weil das Handwerk ihr »nur« die notwendige Zutat ist für das, was sie zu sagen hat. Schultens sagt wahr, und zwar krass, ohne Filter und doppelten Boden und mit unverkennbar weiblicher Stimme. Das stellt sie in die obige Reihe und es hebt sie auch aus ihr heraus. Denn die Stimme der Mistral raunt aus den 1920er Jahren uns zu, bei der Bachmann klingt es nach Fifties. Und so fort.
Bei Schultens wird mir klar ‐ und eben nicht nur rational, sondern mit allen beteiligten Sinnen ‐ wie das heute und hier ist, Frau zu sein.
Ich glaube, das gelingt nur, weil sie es darauf gar nicht anlegt. Die Erkenntnis fällt ab, weil Schultens schonungslos ist, sich preisgibt in diesen Texten. Vielleicht ist es das eigentlich Unerhörte an diesen Gedichten, mit welcher Kraft und Deutlichkeit sie sich erlaubt, verletzlich zu sein. Es gibt keine Unterwerfung und keinen Verzicht, trotz »Schlüssel im Rücken«. Die Welt wird eingefordert, ganz gleich, wie randvoll sie mit Vorurteilen sein mag.
ich sehe mich vor, wenn ich berichte
denn ich habe einen bauchraum für kinder
was ich sonst noch verstand, ist also egal
Dass Schultens sich vorsehen würde, kann ich nicht sehen. Im Gegenteil.
… vier ist der tod
wenn ich kein kind mache, ich mache nichts, ich macheaus demselben grund keines, aus dem ich immer alles, alles sage
Gleichwohl hat sie ein Kind, und das Echo dieser Erfahrung ist ebenfalls deutlich zu hören, nicht nur in Zeilen wie diesen:
meine landschaft innen ist dunkel, dunkel
ich kenne darin nur feindeich beschütze immer mindestens zwei blutsverwandte
und du bist nicht rechtzeitig da
Es ist Tanz und Taumel zwischen Welten. Das Haus hat sie längst verlassen und ist angekommen inmitten der Möglichkeiten. Alles kann sie sein und werden, alles wollen und tun, nur aufgeben offenbar nicht. Das kommt als Option nicht vor, weswegen Momente von Trauer, Verlust, Rückschlägen sich hier nicht ins Depressive wenden. Auf höhere Wesen wird nicht vertraut. Und Männer sind anwesend, wie sie es hinbekommen, aber sicher nicht als bestimmender Faktor.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Zufall sein soll, dass gerade die folgenden Zeilen den Band abschließen:
meine schablone verrutscht um einen millimeter
während die welt mich noch fertig ausmalt
Mit Schablonen kommt man bei Schultens nicht weit. Für Schubladen ist sie zu groß. »so darf ich nicht lange bleiben« sagt sie sich denn auch vor, und dem eigenen Blick nicht zu lange einfach vertrauen, denn »immer verwechseln wir etwas«.
Die Frau hat Dichtung im Blut. Einfach mal zuhören, kann ich nur sagen. Die Ausbeute ist immens. Die Verunsicherung auch. Und so soll es sein.
Am 20. März 2018 um 11:39 Uhr
[…] Wenn gestern abend Benjamin Stein über diese Gedichte von einer „unverkennbar weiblichen Stimme“ schrieb, ist dies mißdeutbar, auch wenn er seinen […]
Am 21. März 2018 um 08:11 Uhr
[…] Angriff nahm. Übrigens hat Stein-selbst schon sehr schön über Schultens‘ Buch geschrieben, >>>> dort, und wiederum an mich, frühnachts: „Só, jetzt müssen wir mal wieder was anderes machen. […]
Am 13. Januar 2019 um 19:10 Uhr
[…] eine „unverkennbar weibliche Stimme“ zu hören meinte,13 ist dies mißdeutbar, auch wenn er seinen Text mit dem Zitat übertitelt „den schnitt seht ihr später“ und unter ihm selber zusammenfährt: […]
Am 14. Januar 2019 um 09:01 Uhr
[…] eine „unverkennbar weibliche Stimme“ zu hören meinte,13 ist dies mißdeutbar, auch wenn er seinen Text mit dem Zitat übertitelt „den schnitt seht ihr später“ und unter ihm selber zusammenfährt: […]
Am 3. August 2019 um 19:17 Uhr
[…] und statt See einen Weiher. Aber so ganz unrecht hat Katharina Schultens nicht, wenn sie in “Untoter Schwan” […]