••• Kurz vor Weihnachten erreichte mich eine Mail meines Verlegers Jonathan Beck mit der Bitte, mich dem Anliegen eines offenen, an die Bundesregierung gerichteten Briefes zum Urheberrecht anzuschließen. Es handelt sich um eine gemeinsam von Jonathan Beck, Elisabeth Ruge (Literaturagentin und ehemaligen Verlegerin) und Jonathan Landgrebe (Suhrkamp-Verleger) angestoßene Initiative. Anlass ist ein neu ausgearbeiteter Entwurf für eine Runderneuerung des Urheberrechts, der ohne Unterschied für alle Medien und Kulturbereiche gelten soll. In diesem Entwurf ist vorgesehen, dass Urheber (also auch Autoren) künftig das Recht haben sollen, ihre Rechte von den Verwertern (also auch etwa den Verlagen) zurückzurufen, wenn seit Lieferung des urheberrechtlich geschützten Gegenstands (also bspw. eines Manuskripts) mindestens fünf Jahre vergangen sind und dem Urheber ein besseres Angebot von anderer Seite vorliegt.
Bislang ist lediglich vorgesehen, dass man seine Rechte zurück verlangen kann, wenn der Verwerter diese nicht angemessen verwertet, wenn also ein Buch bspw. seit über einem Jahr nicht mehr lieferbar ist, der Verlag eine Neuauflage aber ablehnt. Die Initiatoren des offenen Briefes und auch der Beck-Cheflektor Detlef Felken (s. die aktuelle »Zeit«, S. 45) sehen in dieser Klausel eine Bedrohung für die kleinen und mittelständischen Verlage und beschwören wahre Untergangsszenarien herauf.
Ich meine, die Argumentation ist überzogen. Unterzeichnet habe ich den Brief dennoch, denn als Liberaler – ja speit nur auf mich! – bin ich der Meinung, dass solche Fragen in die Vertragshoheit zwischen Urheber und Verwerter gehören und den Staat gar nichts angehen. Ich bin kein schutzbedürftiger Minderjähriger.
Der Verbrecher-Verlag gehört zu jenen kleinen Verlagen, die Jonathan Beck durch die vorgesehene Rückrufklausel gefährdet sieht. Jörg Sundermeier – mein zweiter Verleger bei der Verbrecherei – fürchtet sich allem Anschein nach jedoch nicht. Wie kann das sein?
Im Bereich der Literatur spielt die angedachte Rückruf-Klausel nur in spezifischen Fällen eine Rolle: Bei eigenständigen Verlagen, die bei deutschen Ausgaben bereits erwiesener internationaler Erfolge mit den Großkonzernen konkurrieren müssen, um den Erfolgsautoren Phantasie-Vorschüsse anbieten zu können. Es gibt dafür eine andere, einfache Lösung: Lasst es einfach sein. Macht Literatur und überlasst den Schuhverkäufern das Schuhverkaufen.
Damit sich die Turmsegler-Leser ein eigenes Urteil bilden können, zitiere ich die dankenswerter Weise in verständliches Deutsch gebrachten Anmerkungen der Initiatoren zum Gesetzentwurf sowie deren Einschätzung der Lage, die ich – wie oben ausgeführt – nicht wirklich teilen kann.
Worum geht es?
Im ihrem Koalitionsvertrag hat die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 vereinbart, „die Position des Urhebers zu verbessern und Kreativen eine angemessene Vergütung zu ermöglichen“ (S. 133). In diesem Zusammenhang hat das Bundesjustizministerium nun einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“ vorgelegt. In seiner Begründung für den Entwurf verweist das Ministerium auf zu korrigierende „Defizite“ wie die vermeintliche Existenz von „Total Buy-Outs“ (Vollübertragung von Rechten an die sogenannten Verwerter gegen unangemessene Einmalzahlungen) und „Blacklisting“ (Boykott von Urhebern, die auf angemessene Vergütung bestehen) durch die sogenannten Verwerter.
Im Buchmarkt sind diese Phänomene wahrlich nicht verbreitet, dennoch beinhaltet der Gesetzentwurf – neben zahlreichen anderen Neuregelungen – ein Rückrufsrecht für Urheber, das für den Buchmarkt gravierende Folgen hätte.
Wie sieht das vorgeschlagene Rückrufsrecht konkret aus?
Nach dem Gesetzentwurf kann ein Autor, sobald fünf Jahre seit seiner Manuskriptabgabe vergangen sind und ab dann jederzeit, die Rechte vom Verlag zurückrufen. Voraussetzung ist lediglich, dass ihm ein besseres Angebot für die Nutzung dieser Rechte vorliegt. Der ursprüngliche Verlag kann den Rückruf dann nur noch abwenden und das Werk weiter in seinem Programm behalten, wenn er die neuen Konditionen des Gegenangebots akzeptiert (er hat also ein „Vorkaufsrecht“).
Ist das nicht eine sinnvolle Regelung?
Nur auf den ersten Blick. Die Durchsetzung der vorgeschlagenen Regelungen wird für weniger erfolgreiche Autoren nicht von Relevanz sein. Diese werden die Rechte aufgrund fehlender Alternativgebote nicht für sich nutzen können und gleichzeitig mit sinkenden Honoraren leben müssen. Bestenfalls die bereits durchgesetzten Erfolgsautoren, die aufgrund ihres ökonomischen Erfolgs ohnehin zufriedenstellend vergütet werden, würden zusätzlich profitieren. Doch auch abgesehen davon hätten die vorgeschlagenen Regelungen erhebliche negative Konsequenzen für Verlage, Autoren und die kulturelle Vielfalt.
Es handelt sich auch deshalb um einen unnötigen Eingriff in die Vertragsfreiheit von Buchautoren bzw. Buchverlagen, da Buchautoren bereits heute mit Verlagen auf Augenhöhe verhandeln (zum Teil vermittelt über Literaturagenten) und angemessen vergütet werden.
Welche Folgen wären für die Verlage damit verbunden?
Das Gesetz beseitigt die Rechts- und Planungssicherheit der Verlage. Diese werden den verkürzten Planungshorizont berücksichtigen müssen und letztlich gezwungen, die Honorare der Autoren und andere mit der Publikation zusammenhängende Investitionen (Lektorat, Presse, Druck etc.) heruntersetzen.
Der Originalverlag, erst recht wenn es sich um einen der vielen kleinen, unabhängigen Verlage in Deutschland handelt, wird weder kalkulatorisch noch finanziell in der Lage sein, mit dem Angebot eines anderen Verlages oder eines neuen „Players“ wie z.B. Amazon gleichzuziehen. Der andere Verlag kann anders kalkulieren, kennt den Markterfolg des eingeführten Werks und muss keine Initialinvestitionen in das Werk (durch Lektorat, Presse, Marketing) mehr berücksichtigen.
Kleinere und mittelständische Literatur- und Wissenschaftsverlage, die schon heute ohnehin zu großen Teilen nur durch Idealismus überleben, müssen noch knapper kalkulieren und werden in ihrer Existenz bedroht, da Ihnen die Planungssicherheit verlorengeht. Amazon, große Verlagskonzerne und finanzstarke Silicon-Valley-Konzerne erhalten die Möglichkeit, aufgrund ihrer Finanzkraft den Buchmarkt noch viel stärker als bisher zu monopolisieren.
Mittelfristig wird eine konzentrierte Landschaft aus wenigen Großverlagen und Onlineplayern entstehen, ohne kleinere, unabhängige Verlagsmarken. Alle Verlage werden gezwungen, kurzfristiger zu kalkulieren, und müssen dementsprechend ihre Programmpolitik stärker als bisher auf besser und schneller verkäufliche Titel hin orientieren.
Welche Folgen hätte diese Gesetzesänderung für Autoren?
Für junge Autoren sowie Autoren, die sich kommerziell (noch) nicht durchgesetzt haben, wird es noch schwieriger werden, einen Publikumsverlag für ihr Buch zu finden. Honorarvorschüsse werden für diese Autoren zur Ausnahme. Mittelfristig werden alle Autoren unter einer zunehmenden Konzentration der Verlagslandschaft und den weiter unten beschriebenen Folgen der Regelungen für das Verlagswesen insgesamt leiden.
Welche Folgen hätte diese Gesetzesänderung also für die Förderung von Literatur und Wissenschaft und deren weltweite Verbreitung, sowie für die kulturelle Vielfalt im Buchmarkt ?
Die langfristige Förderung und Entwicklung junger und häufig über mehrere Werke hinweg ökonomisch noch nicht erfolgreicher Autoren wird praktisch unmöglich gemacht. Es wird zu einer weiteren Konzentration des Buchmarktes auf eine geringe Zahl ökonomisch erfolgreicher Autoren kommen.
Um die neuen Risiken durch das Rücktrittsrecht zu begrenzen, müssen die Verlage, die dazu bislang noch in der Lage waren, ihre Investitionen in langlaufende Projekte wie wissenschaftliche Sachbücher und aufwändige Editionen, die sich nicht innerhalb von fünf Jahren amortisieren, weitestgehend zurückfahren. Die Druckauflagen von Werken mit einem erwarteten langsamen Absatz müssen gesenkt werden, insbesondere bei materiell hochwertigen Büchern, was zu höheren Ladenpreisen führt und den ohnehin schon allgemein negativen Absatztrend weiter befördert. Unabhängige Verlage, die mit der Veröffentlichung von künstlerisch riskanten Werken bislang vornehmlich für Innovationen im Buchmarkt gesorgt haben, können unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr agieren. Die inhaltliche Vielfalt und Qualität auf dem Buchmarkt sinkt, ebenso die herstellerische Qualität der Bücher. E-Book-Ausgaben und Print-On-Demand halten verstärkt Einzug.
Ein Zeitraum von fünf Jahren verhindert die Verbreitung von deutscher Literatur und Wissenschaft im Ausland, gerade zu einem Zeitpunkt, wo die deutsche Geisteswissenschaft und die deutsche Gegenwartsliteratur, aber auch die so wichtige Kinderbuchliteratur aus Deutschland in vielen Ländern auch mit Hilfe der vom Auswärtigen Amt geförderten Goetheinstitute eine Renaissance erleben. Die international gestiegene Nachfrage nach Arbeitsstellen in Deutschland führt zu einer Zunahme der Deutschkurse in aller Welt und zu einer stärkeren Rezeption der deutschsprachigen Literatur und Wissenschaft. International lassen sich jedoch Lizenzverträge mit derart kurzen Laufzeiten für Übersetzungen nicht abschließen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums konterkariert damit gerade die Bemühungen der eigenen Politik, denn niemand anders als die deutschen Verlage, allen voran die mittelständischen unabhängigen Verlage, sind der Transporteur und der Navigator für deutsche Literatur im internationalen Buchmarkt.
Insgesamt wird es also zu einer weiteren Reduktion der kulturellen Vielfalt und Verbreitung von Büchern kommen.