••• Ich habe es getan. Mein Facebook-Account ist gelöscht. Das heißt: was Facebook gemeinhin als gelöscht bezeichnet. Die Firma sitzt nach wie vor auf allen von mir eingesammelten Daten, aber nur noch Facebook kann sie nutzen. Ich nicht mehr. Immerhin bin ich die Pest nun los.
Geplant habe ich diesen Schritt schon lange. Nach der letzten Anpassung der »Allgemeinen Geschäftsbedingungen« blieb mir jedoch gar nichts anderes mehr übrig. Facebooks Einstellung zur Privacy war schon immer etwas schütter und wesentlich laxer als die der anderen großen Datenkraken. Mit den letzten Neuerungen jedoch, denen jeder zugestimmt hat, der Facebook bisher nicht den Rücken kehrte, befindet sich die Firma in einer ganz eigenen Liga.
Liebe Freunde, liebe Familienmitglieder, es hat daher keinen Zweck, mich zu necken, mit mir zu debattieren, mich zu bedauern. Ich bin froh, Facebook los zu sein. Nicht nur in meinem Interesse habe ich den Account gelöscht, sondern auch in eurem, ob ihr selbst einen Facebook-Account habt oder nicht.
Und da kaum jemand glauben mag, was doch so offensichtlich ist, sei an dieser Stelle noch einmal zusammengetragen und deutlich ausgesprochen, warum Facebook ein solches Übel für uns alle ist. Ich bitte euch: Nehmt euch die Zeit, diese Zeilen hier zu lesen und ein wenig darüber nachzudenken.
Mit Facebook ist es wie mit vielen anderen Giften auch: Nur weil es nicht sofort spürbar ist, dass wir uns vergiften, bleiben wir noch lange nicht unbeschadet. Allen »Privatsphäreeinstellungen« zum Trotz muss klar sein, dass es, sobald man einen Account bei Facebook eröffnet, online keine Privatsphäre mehr gibt. Denn die Daten unseres Lebens sind das Kapital, mit dem Facebook wuchert. Die umfassende Ausspionierung ist möglich aufgrund der »Geschäftsbedingungen« (die fast niemand je gelesen hat) und der unendlich vielen Schlupflöcher darin. Allzu oft geht Facebook, wenn es gebraucht wird, auch flugs hinter einmal gemachte Zusagen zurück. Man muss diesen »Geschäftsbedingungen« nicht einmal mehr aktiv zustimmen. Indem man den Account nicht löscht, stimmt man zu, ganz gleich wie oft und in welchen Formen man in der eigenen Timeline bekundet, genau diesen »Geschäftsbedingungen« zu widersprechen. Solche Beteuerungen sind nutzlos. Wer den Dienst nutzt, akzeptiert die AGB – automatisch.
Und was geschieht nun eigentlich hinter den Kulissen? Ein paar Beispiele:
- Facebook verkauft die Informationen über unsere Likes an Werbefirmen, an Politiker
- Kaum jemanden ist bekannt, dass Facebook alle unsere Umtriebe im Web protokolliert, insbesondere, wenn wir Websites besuchen, die »Social Media Buttons« oder andere Möglichkeiten anbieten, um Web-Inhalte auf sozialen Diensten zu teilen. Dank unseres Facebook-Cookies sind wir jederzeit identifizierbar.
- Facebook verwendet darüber hinaus Informationen unserer Freunde dafür, mehr über uns zu lernen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jede Preisgabe aus dem Bereich unserer Privatsphäre auch Auswirkungen auf unsere »Freunde« hat.
- Facebook fälscht auch heute noch falsche Produktempfehlungen von uns an unsere Freunde, ohne dass wir je davon erfahren.
- Facebook liest unsere privaten Nachrichten und wertet den Inhalt von darin enthaltenen Links auf Web-Inhalte aus.
- Neue Features, die dazu verführen sollen, der Facebook-App Nutzungsrechte an unserem Handy-Mikrofon einzuräumen, laden zum umfassenden Abhören geradezu ein.
- Gesichtserkennung, Tagging und die Auswertung von GPS-Informationen in digitalen Fotos verraten schon längst viel mehr über uns und darüber, wann wir wo mit wem waren.
- Facebook müht sich redlich, uns »Freunde« dazu zu bringen, die Klarnamen von »Freunden« zu verraten, die unter Pseudonymen bei Facebook angemeldet sind.
Auf Basis all dieser Daten erstellt Facebook sehr genaue Profile. Man muss noch nicht einmal aktiv auf der Plattform sein. Selbst, wenn wir nichts dort posten, kann man durch statistische Methoden und den »Datenbeifang« (vor allem das Tracking der Web-Umtriebe) sehr leicht auf Geschlecht und Alter, sexuelle und politische Orientierung oder den Familienstand schließen. Posten wir auf Facebook, spielen wir noch aktiv mit. Und Facebook verkauft dann die über uns gewonnen Einsichten an Banken, Versicherungen, Werbetreibende. Und wie wir seit den Enthüllungen Snowdens wissen, hat der Staat immer wieder beste Chancen, das so gewonnene Wissen einzufordern, wenn es denn gewünscht wird.
Immer wieder höre ich den Satz: »Ich habe doch nichts zu verbergen«. Wer so spricht, denkt sehr kurz. Am deutlichsten dürfte jedem klar werden, dass diese Argumentation hohl ist, wenn man Versicherungen anschaut. Die gesammelten Daten werden schließlich dafür genutzt, unsere Zukunft zu prognostizieren. Und auf Basis dieser Prognose könnte es morgen schon sein, dass wir eine Versicherung nicht mehr abschließen können oder einen Kredit nicht genehmigt bekommen, weil unser Online-Profil anders als unsere Krankenakte oder unsere Einkommensnachweise nahelegen, dass wir mit einem zu hohen Risiko behaftet sind.
So steht es in den »AGB«:
You give us permission to use your name, profile picture, content and information in connection with commercial, sponsored or related content (such as a brand you like), served or enhanced by us.
Und ein wenig später:
By „information“ we mean facts and other information about you, including actions taken by users and non-users who interact with Facebook.
Salim Virani, der für seinen englischsprachigen Artikel zu diesem Thema die meisten hier genannten Links gesammelt hat, beschreibt ausführlich, was diese Praktiken für Folgen haben, nicht irgendwann, sondern jetzt und bereits seit langem.
Am meisten ärgert mich die Facebook-Praxis der »Schattenprofile«. Diese werden für alle jene Personen angelegt, mit denen wir in Verbindung stehen und die NICHT bei Facebook sind. Wer schon einmal zugestimmt hat, das eigene Adressbuch zu einem Anbieter hochzuladen (Faceboook, Google, GMX und viele andere), hat bereits alle seine Freunde und Bekannten verraten. Ob wir uns nun aktiv mit ihnen »befreunden« oder nicht – sie sind in unserem Adressbuch. Vielleicht haben wir ihnen mal eine Mail geschrieben oder eine SMS. Also besteht eine Verbindung. Mit unseren Aktionen in den sozialen Medien verschenken wir nicht nur unsere Freiheit, wir verkaufen auch noch unsere Freunde und unsere Familie, in aller Regel, ohne uns dessen bewusst zu sein.
Es geht hier nicht um Spinnerei, sondern ums Ganze. Wir können nicht zurückfordern, was wir bereits preisgegeben haben. Aber wir können aufhören, mitzuspielen.
Facebook will nicht, dass wir gehen. Deswegen wird uns die Trennung auch schwer gemacht. Der Account wird für 14 Tage lediglich deaktiviert. Meldet man sich innerhalb dieser 14 Tage erneut an, ist die ganze Löschung rückgängig gemacht. Man muss also den Account löschen und sicherstellen, dass man 14 Tage lang nicht einmal versehentlich daran rührt.
Wenn ihr euren Facebook-Account löschen wollt, müsst ihr zunächst alle Facebook-Apps von euren Telefonen, Tablets und PCs löschen. Dann solltet ihr das Facebook-Passwort ändern und den Account löschen. Löscht alle Cookies in allen euren Browsern. Und dann haltet 14 Tage durch. Es geht auch ohne. Ich stelle fest: Es geht sehr gut ohne.
Und mein Leben gehört ein wenig mehr wieder mir.
Übrigens: Mail und Telefon und Gespräche von Angesicht zu Angesicht, das funktioniert weiter – auch ohne Facebook.
Quellen:
- Facebook likes reveal sensitive personal information
- Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior
- Table of Top Likes
- New Facebook Policies Sell Your Face And Whatever It Infers
- You are what you Facebook Like
- Criticism of Facebook – Wikipedia, the free encyclopedia
- Forcing users onto Messenger
- Permissions
- Europe vs Facebook
- Future
- Objectives
- Facebook info sharing created Zoosk.com dating profile for married woman
- @facebook.com e-mail plague chokes phone address books
- Facebook Knows Your Friends—Even if They’re Not on Facebook – IEEE Spectrum
- Facebook Now Wants To ‚Spy‘ On Android Phone Users
- Facebook adds naggy “ask” button to profile pages
- Facebook users unwittingly revealing intimate secrets, study finds
- Facebook’s Generation Y nightmare
- Facebook Knows Your Friends—Even if They’re Not on Facebook – IEEE Spectrum
- Facebook’s New Privacy Rules Clear the Way for Payments Push and Location-Based Ads
- Dutch Regulator Investigates Facebook’s Privacy Policy
- Facebook prunes its privacy policy, lays groundwork for location-based ads – GeekWire
- Stalking on Facebook Is Easier Than You Think – IEEE Spectrum
- Millions Will Flow to Privacy Groups Supporting Weak Facebook Settlement | WIRED
- Facebook Is Recycling Your Likes To Promote Stories You’ve Never Seen To All Your Friends
- Is Facebook damaging your reputation with sneaky political posts? | ZDNet
- Even Google won’t be around for ever, let alone Facebook
- Facebook reforms user settings
- Facebook Privacy: A Bewildering Tangle of Options – Graphic – NYTimes.com
- Corrupt Personalization
- Facebook is not your friend
- Facebook violates German law, Hamburg data protection official says | Sci-Tech | DW.DE | 02.08.2011
- The World from Berlin: ‚Every User Can Decide Alone What Facebook Knows‘ – SPIEGEL ONLINE
- Q&A: Facebook privacy changes
- Famous Facebook Flip-Flops
- No Death, No Taxes – The New Yorker
- Facebook censors political satire after complaint from JobCentre Plus
- TED: The curly fry conundrum: Why social media “likes” say more than you might think
- With friends like these … Tom Hodgkinson on the politics of the people behind Facebook
- Facebook Must Face Lawsuit Over Scanning of Users‘ Messages, Judge Says
- How Target Figured Out A Teen Girl Was Pregnant Before Her Father Did
- War on General Purpose Computers is the difference between utopia and dystopia
- Don’t Worry About Selling Your Privacy To Facebook. I Already Sold It For You | Just Well Mixed
- Facebook’s Hidden “Like” Isn’t Just Good For Mobile Developers, It’s Good For Facebook
- Mastercard to access Facebook data
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