••• »Verlagsmetropolen« – so nennt das Literarische Colloquium Berlin das hauseigene Programm, in dessen Rahmen versucht wird, regelmäßig einige deutsche Autoren in die Welt hinaus zu scheuchen. Diese Autorenförderung verbindet sich mit einem anderen Kern des LCB-Programmes, der Förderung von Übersetzern, die Literatur in das Deutsche und aus dem Deutschen übersetzen. Auf Reisen geschickt werden dabei jeweils Autoren und Autorinnen, die ein aktuelles Buch im Gepäck haben, für das man sich Übersetzungen wünscht. Auszüge aus den Werken werden vorab übersetzt und während der Reise auf Lesungen im deutschen Original und in Landessprache vorgestellt. Auf diesem Weg kam ich 2010 mit der »Leinwand« nach Finnland und bin ich nun mit »Replay« in Georgien.
In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und gefördert vom deutschen Auswärtigen Amt, hat das LCB Jenny Erpenbeck, Olga Grjasnowa, Annett Gröschner, Michael Kumpfmüller, Jörg Magenau und mich nach Tbilissi geschafft. Jürgen Becker, der auch vor zwei Jahren die Finnland-Reise organisiert hatte, begleitet uns. Auszüge aus unseren akuellen Romanen wurden ins Georgische übersetzt und in einer Broschüre veröffentlicht. Auf zwei Lesungen – am letzten Mittwoch und am morgigen Freitag – im ortsansässigen Goethe-Institut bzw. im Literaturmuseum von Tbilissi werden die Bücher vorgestellt. Wir lesen deutsch, die Übersetzer die georgischen Übertragungen.
Ruinen neben Neubauten, der Bürgerkrieg ist noch lang nicht vergessen
Land und Leute haben es nicht verdient, dass ich direkt im Anschluss an die »Canvas«-Tour hier eingeflogen bin und nur drei Tage bleibe. Ich bin voll mit Eindrücken der USA-Kanada-Tour, neun Stunden zurück und ziemlich geschlaucht von den vielen Städtewechseln der letzten zwei Wochen. Und entsprechend müde und eher wortkarg. Im Moment ist mir eher nach Einsiedeln zumute denn nach zu viel Gesellschaft. Ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen, mit wechselndem Erfolg wohl.
In Tbilissi ist es noch warm. Zwanzig Grad hatten wir vorgestern und heute unter blauem Himmel. Geregnet hat es nur nachts. Wenn Engel reisen …
Sieht alt aus und ist ganz neu, wie vieles in Tbilissi
Ich glaube, jetzt und genau jetzt ist die richtige Zeit, um Georgien einen Besuch abzustatten. Noch sind nur die ersten Ausläufer touristischer Erschließung zu registrieren. Es wird in atemberaubendem Tempo abgerissen, gebaut, erschlossen und restauriert. McDonalds hat Tbilissi schon erreicht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich neben den Sehenswürdigkeiten in der Stadt und auf dem Land Latte-Macchiato-Automaten finden. Und dann wird kaum noch oder gar nicht mehr spürbar sein, was sich jetzt noch vermittelt und mich berührt und verunsichert hat: Georgien ist ein verwundetes Land. Immer zwischen wechselnden Großmächten gelegen, hatte es wenig zu Lachen. Tbilissi ist 1.600 Jahre alt, und doch gibt es kein Haus in der Stadt, das älter wäre als 1786. Dieses Jahr markiert die letzte von 42 vollständigen Zerstörungen der Stadt, die meisten davon durch Eroberer oder Strafexpeditionen. »An die meisten Eroberer«, erzählt unser Reiseführer, »erinnert sich heute niemand mehr, aber wir haben sie alle überlebt«. In der Stadt leben säkulare Georgier mit Georgisch Orthodoxen neben Muslimen und Juden. Man ist stolz darauf, dass man sich immer vertragen habe. Die letzten Wunden aber, zwischen den Neubauten heute noch deutlich sichtbar, stammen aus dem politisch motivierten Bürgerkrieg zu Beginn der 1990er Jahre.
Ein Auszug aus »Replay« auf Georgisch
Unser Reiseführer zeigt uns jene Stelle auf dem renovierten zentralen Rustaveli-Boulevard, wo damals die Barrikaden standen und die Kinder sich »den Krieg anschauen gingen«. Ein paar Dutzend Meter weiter wurde gekämpft, die Häuser standen in Flammen. Betrachtet man die Ruine des spätsowjetischen Amtes für die Warenzuteilung (s. zweites Bild oben) zwischen den Neubauten, bekommt man einen Eindruck davon, wie es hier vor Kurzem noch aussah, wie nahe diese Erfahrungen noch sind.
Wir waren am ersten Tag viele Stunden zu Fuß unterwegs in Tbilissi und haben über die ältere und jüngere Geschichte der Stadt einiges erfahren. Gestern dann fuhren wir nach Kachetien, aufs Land, um zu sehen, was wohl bald das touristische Gesicht Georgiens werden wird: historische orthodoxe Klöster und Weingüter. Ich habe also noch Weihrauch und Wein in der Nase und auf der Zunge.
Heute abend werde ich mit Olga Grjasnowa und Annett Gröschner im Literaturmuseum von Tbilissi lesen. Ich habe »Replay« dabei, ein Buch, das für die georgischen Leser, die so viel Erfahrung mit autokratischen Herrschaftsstrukturen haben, interessant sein dürfte. Rosen erzählt von einer »Landnahme« durch die United Communications Corporation, die eine andere Gefahr birgt als gewaltsame Kolonisierungen. Dieser »sanfte Imperialismus« zerstört keine Häuser, sondern stiehlt den Kolonisierten unversehens die Identität. Vier McDonalds-Filialen gibt es unterdessen in Tbilissi. Das Mobilfunknetz reicht bis in den Kaukasus, das Internet als Backbone ist weithin verfügbar. Und wie wir auf der ersten Lesung der Tour erfahren durften: man schaltet hier das Mobiltelefon nicht ab. Die United Communications Corporation hätte beste Voraussetzungen, flugs Fuß zu fassen.