Just like a wound I carry you
on my forehead, and it never closes.
It doesn’t hurt all time. And my heart
won’t flow out though.
Just sometimes I’m all of a sudden blind and feel
my mouth’s bleeding.Gottfried Benn (1913)
••• Die letzten Tage habe ich in Finnland verbracht. Es wird noch davon die Rede sein. Am vorletzten Abend saß ich mit Monique Truong und Jarkko Tontti beim Abendessen, und – wie nicht anders zu erwarten bei drei Autoren – ging es im Gespräch auch und vor allem um Literatur. Every page is a letter to your mother – bemerkte Jarkko trocken, und das brachte mich auf Gottfried Benns Gedicht »Mutter«. Ich konnte es auf Deutsch zitieren, aber vor einer Übersetzung ins Englische bin ich dann doch zurückgeschreckt und habe es nun versucht.
Die Übertragungen, die ich auf die Schnelle finden konnte, fangen nicht annähernd die Stimmung des Originals und die Mehrdeutigkeiten ein. Vor allem der Sound, denke ich, muss hier bei der Übertragung erhalten bleiben.
Mit vereinten Kräften sind wir – wie man unten in den Kommentaren nachlesen kann – bei dieser Fassung gelandet:
I carry you just like a wound
upon my brow, that doesn’t close.
It hurts betimes, but though it flows
the heart won’t drain from it to death.
Just sometimes, suddenly, I’m blind and feel
blood in my mouth.
Am 27. Juni 2012 um 11:31 Uhr
Die Umstellung der Wortfolge in der ersten Zeile ist nicht glücklich, auch wenn immer noch das Ich vor dem Du steht. Dass das Gedicht mit „Ich“ anfängt, muss muMn erhalten bleiben. Und Benn muss reimen, auch in der Übersetzung, wenn es irgend geht.
Am 27. Juni 2012 um 11:33 Uhr
Der Reim wird schwierig. Mit der Wortfolge hast Du sicher Recht. Statt »Like a wound I carry you« könnte es heißen:
Am 27. Juni 2012 um 11:44 Uhr
I carry you just like a wound
upon my forehead, that never closes.
It’s not hurting all the time. And it lets not
flow the heart out to its death.
But sometimes I suddenly go blind and feel
blood in my mouth.
Reimt auch nicht, ist aber vielleicht ein Stück näher dran. Muss man dran arbeiten.
Am 27. Juni 2012 um 11:59 Uhr
Gerade ist mir noch die hübsche Ambiguität aufgefallen, dass ja grammatikalisch gar nicht klar ist, ob die Wunde sich nicht schließt oder die Stirn keinen Ladenschluss hat. Habe die zweite Zeile also nochmal geändert.
Am 27. Juni 2012 um 12:21 Uhr
Genau diese Doppeldeutigkeit habe ich in dem Artikel erwähnt.
ist gekauft. Mit »never closing« habe ich noch Schwierigkeiten, ebenso wie mit »and it never closes«. Das ist eine Behauptung, die Benn nicht macht. »Never« geht in die Zukunft, Benn spricht im Original nur über Vergangenheit und Gegenwart. »Nicht mehr« kann sogar heißen: Sie schloss sich früher gelegentlich, wenn auch nur vorübergehend, doch jetzt gar nicht mehr.
Am 27. Juni 2012 um 12:35 Uhr
Das gefällt mir, wenn es denn auch vor einem Muttersprachler bestehen kann, denn ich habe den Verdacht, das ist entweder zu shakespearisch oder zu deutsch.
Die letzten beiden Zeilen will ich so lassen. Da gibt es noch das Problem, dass Benn eben nicht schreibt »in meinem Munde«. Und man sollte hier den absinkenden Sound erhalten:
I carry you just like a wound
upon my forehead, and it never closes.
It doesn’t hurt all time. And it lets not
flow the heart out to its death.
Just sometimes I’m all of a sudden blind and feel
my mouth’s bleeding.
Am 27. Juni 2012 um 12:49 Uhr
Wie wäre es mit »still not closing«? Und »the mouth’s bleeding« könnte den Mund des Sprechers oder den Mund der Wunde meinen.
I carry you just like a wound
upon my forehead – still not closing.
It doesn’t hurt all time. And it lets not
flow the heart out to its death.
Just sometimes I’m all of a sudden blind and feel
the mouth’s bleeding.
Am 27. Juni 2012 um 12:51 Uhr
Ja, aber „bleeding“ ist ganz und gar falsch. Benns Nominalstil verlangt „blood … mouth“; da ist meine Lösung, glaube ich, exakter.
Am 27. Juni 2012 um 12:52 Uhr
Ich wollte es auch mal probieren. ^^
I carry you just like a wound
Upon my brow, that doesn’t close.
It hurts betimes. And though it flows
It doesn’t drain my heart to death.
Just sometimes suddenly I’m blind, I feel
blood in my mouth.
Am 27. Juni 2012 um 12:53 Uhr
Das ist bislang das beste.
Am 27. Juni 2012 um 12:54 Uhr
Exakter aber nicht vom Klang her. »Bleeding« bringt genau den Ton von »im Munde«. Mit »blood in my mouth« oder »blood in the mouth« zerstören wir ja den Rhythmus.
Vom Ton her ganz korrekt wäre »blood and bleeding«, was natürlich nicht geht.
Am 27. Juni 2012 um 13:00 Uhr
@Nadine: Mit »betimes« habe ich Sorgen. »Nicht immer« ist deutlich öfter als »manchmal«. »And though it flows / It doesn’t drain my heart to death.« – das ist sehr schön! Aber im Original ist das Herz aktiv: es fließt sich nicht draus tot, was etwas mit »Herz ausschütten« zu tun hat. »Just sometimes suddenly I’m blind, I feel« – das ist super.
Je öfter ich es lese, desto mehr stimme ich Bonaventura zu: Das ist bisher der beste Versuch. Wenn die letzte Zeile noch …
Am 27. Juni 2012 um 13:01 Uhr
Übersetzungen können halt immer nur begrenzt auf das Original scharf stellen; und da der Nominalstil eines der wichtigen Merkmale der Bennschen Lyrik ist, würde ich auf dessen Wiedergabe nicht verzichten wollen.
Am 27. Juni 2012 um 13:04 Uhr
Oder „my bloody mouth“.
Am 27. Juni 2012 um 13:06 Uhr
Ooops, das ist naheliegend, aber doch irreführend :-)
Am 27. Juni 2012 um 13:06 Uhr
Na, da ist der Nebensinn aber nicht im Original vorhanden.
Am 27. Juni 2012 um 13:10 Uhr
Obwohl brow schön ist, tendiere ich doch zu forehead, wieder wegen des Rhythmus und weil brow nun im Englischen nicht eindeutig Stirn ist, sondern auch Braue sein kann.
Andererseits würde
genau den originalen Rhythmus treffen.
Am 27. Juni 2012 um 14:57 Uhr
Final?
I carry you just like a wound
upon my brow, that doesn’t close.
It hurts betimes, but though it flows
the heart won’t drain from it to death.
Just sometimes, suddenly, I’m blind and feel
blood in my mouth.
Am 27. Juni 2012 um 15:05 Uhr
»» Here’s a version. I tried to find out if Michael Hofmann has done a version but couldn’t find one.
Am 27. Juni 2012 um 15:11 Uhr
@Andrew: I found this one, but it doesn’t even come close to Benn’s original text.
Am 27. Juni 2012 um 15:14 Uhr
@ Benjamin: Wenn’s noch reinem würde, wär’s besser :-) , aber als Annäherung finde ich es so okay. Jedenfalls ist es besser als die Fassung von thedandy.org.
Am 27. Juni 2012 um 15:15 Uhr
Es reimt doch! close/flows.
Am 27. Juni 2012 um 15:23 Uhr
Wow, die letzte Fassung ist klasse. :)
Am 27. Juni 2012 um 15:42 Uhr
Sorry, Du hast natürlich recht. :-)