»Wir sind die Urheber!« rufen über 100 namhafte Autoren in den Raum. Damit haben sie zweifellos recht. Nur bringen uns Resolutionen heute in der Sache nicht weiter. Die derzeitige Debatte scheint mir vor allem durch gegenseitiges mangelndes Verständnis der Positionen geprägt. Die Resolution lässt vermuten, dass es ernsthafte Bestrebungen gäbe, das Urheberrecht als »historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit« gänzlich abzuschaffen. Nicht einmal das Parteiprogramm der Piraten, die als Speerspitze der Urheberrechtsgegener betrachtet werden, gibt eine solche Lesart her. Was gefordert wird, ist eine Anpassung der Gesetze an die durch das Internet gesetzten neuen Gegebenheiten. Davor wird sich der Gesetzgeber nicht drücken können. Bevor jedoch gesetzgeberisch zur Tat geschritten wird, sollte erst einmal gewusst und verstanden (nicht nur gemutmaßt) werden, was das Benutzerverhalten der Online-Community bestimmt und welche Folgen ein reines Beharren auf dem derzeitigen Status Quo nach sich ziehen würde.
Die Online-Community ist schon heute nahezu ein Querschnitt der Gesellschaft. Ihr per se weniger moralisches Verhalten zu unterstellen, also etwa ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum anderer, ist fragwürdig. Das erfolgreiche Geschäft großer Vermarkter wie Amazon oder Apple mit ihren digitalen Musikangeboten belegt, dass letztlich die Qualität des Angebots darüber entscheidet, ob ein Interessent zum Kunden wird oder zum Dieb. Schnell und komfortabel verfügbar und auf der Höhe der technischen Entwicklung müssen die Angebote sein und dürfen den Käufer nicht – durch Maßnahmen des Digital Rights Managements etwa – für seine Entscheidung zum legalen Erwerb bestrafen. Sind die Verwerter zu bequem, sich dieser Entwicklung anzupassen und betreiben stattdessen lediglich Maßnahmen zur Besitzstandswahrung, ist dieses Beharren nur durch massive Eingriffe in die Freiheit der Netzkommunikation durchsetzbar.
Als Teenager habe ich gern einer Freundin am Telefon Gedichte vorgelesen. Zu verhindern wäre das nur gewesen durch einen Lauschangriff. Dafür braucht es triftige Verdachtsmomente und einen richterlichen Beschluss. Diverse heute angeprangerte Urheberrechtsverstöße im Internet lassen sich nur wirksam durch einen flächendeckenden, wahllosen Lauschangriff verhindern, durch erweiterte Vorratsdatenspeicherung personenbezogener Daten und durch Netzsperren. Wenn ich mich als Künstler entscheiden muss zwischen Aufgabe des GEMA-Cents und chinesischen Netzverhältnissen, ist meine Entscheidung klar.
für die »Jüdische Allgemeine« v. 16.05.2012, S. 2
••• Von der »Jüdischen Allgemeinen« und vom »Börsenblatt des deutschen Buchhandels« wurde ich um meine Meinung zur aktuellen Urheberrechtsdebatte gebeten. Seit meinen Journalistenzeiten hat sich eines in der Branche nicht verändert: Alles muss schnell gehen, wird nicht nur erst auf den letzten Drücker fertig, sondern oft auch erst auf den letzten Drücker in Auftrag gegeben. Und der Platz ist begrenzt, zu begrenzt, wie ich finde, um ein solches Thema auch nur annähernd adäquat zu besprechen. Ich habe dennoch zugesagt und die Beiträge geschrieben, allein schon, um zu testen, ob ich noch unter Zeitdruck auf eine bestimmte Zeichenanzahl hin schreiben kann. Es geht noch. Das verlernt man anscheinend nicht.
Am 16. Mai 2012 um 08:40 Uhr
[…] Die unbegründete Angst 16. Mai 2012 ••• Passend zu meiner heutigen Wortmeldung in der »Jüdischen Allgemeinen« finde ich eben einen Beitrag von Alvar Freude im ODEM.blog. Während ein paar Spielkinder (wie er […]
Am 16. Mai 2012 um 09:10 Uhr
Vielen Dank für diese klaren Worte, die ganz im Sinne unserer Erklärung „Auch wir sind Urheber/innen“ sind – vielleicht können wir Sie ja dort als Mitzeichner gewinnen.
Am 16. Mai 2012 um 09:32 Uhr
Ich dachte, ich hätte oben meine Einstellung zu derartigen Resolutionen deutlich gemacht.
Abgesehen davon könnte ich diese Resolution schon wegen des ersten Absatzes nicht unterzeichnen:
Ich sehe diese Behauptung durch keinen Satz in der Autoren-Resolution gestützt.
Werfen Sie doch mal einen Blick auf den Artikel von Alvar Freude. Ich bin überzeugt, dass den meisten der Unterzeichner gar nicht klar ist, welche Konsequenzen ihre Ansichten haben könnten. Umso vorsichtiger wäre ich mit der Behauptung, sie würden diese Konsequenzen sogar fordern.
Am 16. Mai 2012 um 09:48 Uhr
[…] Instant – nicht kostenlos 16. Mai 2012 ••• Mitunter schreibt man auch brav auf eine bestimmte Zeichenanzahl, und dann muss gekürzt werden. Das »Börsenblatt« hat mir gestattet, hier die vollständige […]
Am 16. Mai 2012 um 10:01 Uhr
Und zum Thema »Manifeste« gab es »» hier auch schon mal eine Schnurre.
Am 24. Mai 2012 um 23:34 Uhr
[…] der letzten Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen schrieb Autor Benjamin Stein seine Meinung zur Urheberrechtsdebatte auf und zeigte erneut, dass es in der Diskussion […]