Bis morgen

25. Dezember 2011

••• Der Hanser-Michel ist mir unheimlich. Wenn er nicht ein Doppeldutzend Poesie-Schrate im heimischen oder im Verlagskeller zur Arbeit zwingt, ist es kaum zu fassen, wie er Ausgabe um Ausgabe der »akzente« so viel unterschiedlich Interessantes aus einem – wie er versichert – nicht versiegenden Vorrat aus dichterischen Devotionalien zusammenstellt. Ich lese jetzt schon seit Wochen in der Ausgabe 1/2011 der »akzente«, und wäre ich nicht so unsäglich blog-müde, ich hätte sicher schon längst über wenigstens vier Beiträge aus diesem Heft hier geschrieben. Vielleicht hole ich das noch nach – wenn das Heft, das soeben von meinem Sohn unter Badewasser gesetzt worden ist, wieder trocken…

Brief einer Frau

Da du es bist, der unsern Bund der Treue
erneuern will,
da du es bist, der zu mir fleht voll Reue,
hör zu, sei still:
Dein Schwur, so traumesblind und voller Sehnen,
was er verspricht,
man zahlt dafür am Ende doch mit Tränen.
Schreib so mir nicht!

So wie sich sonnenhell die Landschaft malt
nach Sturmeswut.
so wird der Gram von Hoffnung überstrahlt
und neuem Mut.
Noch ebnet deine Stimme meinen Schritten
den Weg der Sorgen,
doch sag nie mehr »für immer«, lass dich bitten!
Sag nur: »Bis morgen«!

Die fernen Tage unsres reinen Glückes,
die Blütentage,
die Dornentage finstren Knechtgeschickes
voll bittrer Klage –
lass solche Bilder, die das Herz zerfressen
uns nicht ersticken!
Lass uns wie Kinder, die so schnell vergessen,
nach vorne blicken!

Ist’s möglich, dass sich so ein zweites Leben
für uns erschließt,
das ohne großes Leid im Nehmen, Geben
nun leichter fließt,
so nimm als wahr mein Wort, lies und vertrau –
es fliegt dir zu – :
Heut abend wacht, dich träumend, eine Frau.
Komm, nimm mich, du!

Marceline Desbordes-Valmore (1786-1859)
Aus dem Französischen von Hans Krieger

Dieses Gedicht von Marceline Desbordes-Valmore hat mich eben aus den Socken gehauen. Das liegt wohl daran, dass seit einiger Zeit meine Gedanken um verlorene Liebe und unmögliche Neuanfänge kreisen. Einerseits. Dazu Marceline Desbordes-Valmore in einem anderen Gedicht:

Sitze hier alleine,
und ein Stuhl bleibt leer.
Einst war es der deine,
unsrer ist’s nicht mehr.
Spuren alten Lebens
wahrt der Stuhl für dich,
wartet nun vergebens,
hoffnungslos wie ich.

Hoffnungslos also einerseits. Und andererseits kreisen die Gedanken um eine Art Dekomposition des »Ideals der romantischen Liebe«, das heute, wie mir scheint, sehr weit verbreitet missverstanden wird. Es ist heute kapitialistisch verseucht. Romantisch ist, wenn der andere das ideale Produkt für mich ist, wie für mich gemacht, alle meine Bedürftigkeitslücken vollständig ausfüllt. (So weit in Konsequenz wagen die meisten allerdings schon nicht mehr zu denken.) Das aber verkennt, dass wir uns verändern und der Kapitalismus in Produktzyklen denkt. Da muss der oder die Nächste spätestens kurz vor Ablauf der Gewährleistungsfrist parat sein für die Partner-Rochade, und wir kommen vom Partner 2.0 zum Partner 6.5 usf. Wie »romantisch« ist das eigentlich?

Dies alles verkennt, dass für die Romantiker Lieben eine Aufgabe war. Ihre Ansichten waren denen der Minne viel mehr verwandt als dem, was heute als »romantisch« betrachtet wird. Sie wussten sehr wohl, das die Eine nicht für immer allein alles sein kann. Sie forderten nicht von der/dem Geliebten, alles »liefern« zu müssen, sondern übten sich in einer Art gedanklicher Umformung der Wirklichkeit, indem sie sagten: Aber ich will dieses Alles dennoch in Dir sehen, zum Vorschein bringen. Da geht es nicht darum, dass man dem anderen »etwas nicht geben kann«, sondern dass man selbst es lediglich »nicht sieht«. Das stellt die Forderung an den Liebenden selbst, nicht den Geliebten. Und das, das ist »romantisch«. (Und freilich nicht kapitalismustauglich.)

Bei Marceline Desbordes-Valmore habe ich diese Gedanken nun poetisch umgesetzt wiedergefunden: Noch ebnet deine Stimme meinen Schritten den Weg der Sorgen. Lass uns wie Kinder, die so schnell vergessen, nach vorne blicken! Doch sag nie mehr »für immer« … Sag nur: »Bis morgen«!

Update am 20.12.2013 für eine Leserin hier das Original:

Un Billet de Femme

Puisque c’est toi qui veux nouer encore
Notre lien,
Puisque c’est toi dont le regret m’implore,
Ecoute bien:
Les longs serments, rêves trempés de charmes,
Écrits et lus,
Comme Dieu veut qu’ils soient payés de larmes,
N’en écris plus !

Puisque la plaine après l’ombre ou l’orage
Rit au soleil,
Séchons nos yeux et reprenons courage,
Le front vermeil.
Ta voix, c’est vrai! Se lève encor chérie,
Sur mon chemin;
Mais ne dis plus: à toujours! je t’en prie;
Dis: à demain!

Nos jours lointains glissés purs et suaves,
Nos jours en fleurs;
Nos jours blessés dans l’anneau des esclaves,
Pesants de pleurs;
De ces tableaux dont la raison soupire
Ôtons nos yeux,
Comme l’enfant qui s’oublie et respire,
La vue aux cieux!

Si c’est ainsi qu’une seconde vie
Peut se rouvrir,
Pour s’écouler sous une autre asservie,
Sans trop souffrir,
Par ce billet, parole de mon âme,
Qui va vers toi,
Ce soir, où veille et te rêve une femme,
Viens! et prends-moi!

4 Reaktionen zu “Bis morgen”

  1. Nadine

    Piper??!

  2. Benjamin Stein

    Hanser! Wie konnte ich nur?!

  3. Kerstin Klein

    LOL

  4. Benjamin Stein

    Siehe oben, nun auch im Original nachzulesen.

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