Sie verschwand hinter dem klickernden Perlenvorhang, und ich inspizierte das Zimmer, in das sie mich gebeten hatte. Es war ein fensterloser Raum, beleuchtet von vielleicht zwei Dutzend Öllichtern auf einem schmalen Bord, das in Kopfhöhe rings um den Raum führte. In der Mitte stand eine professionelle Massageliege und an deren Kopfende ein Tischchen mit einem Stapel sorgsam zusammengelegter Handtücher und drei bauchigen Flaschen, wahrscheinlich mit verschiedenen Ölen für die Massage. Quer über die Liege führte in etwa zwei Meter Höhe von Wand zu Wand eine Messingstange. Im hinteren Eck des Raumes entdeckte ich hinter einem Paravan einen Stuhl und einen Stummen Diener. Ich streifte die Schuhe ab, zog Socken, Jackett und Hose aus, hängte alles sorgsam über den Stummen Diener und setzte mich auf den Stuhl.
Kurz darauf kehrte die Frau zurück, mit einem Kupferbecken voll schaumigen Wassers und einem Handtuch. Sie stellte das Becken vor mir ab, kniete sich hin und sagte: Bitte. Ich stellte meine Füße in das lauwarme Wasser. Schweigend wusch sie meine Füße. Sie knetete ein paarmal kräftig mit den Daumen meine Sohlen, zog an den Zehen und massierte die Knöchel. Dann trocknete sie mir die Füße ab, stand auf und, während sie das Becken hochhob, um es beiseite zu stellen, sagte sie mit weicher Stimme, aber doch bestimmtem Tonfall, der etwas Hypnotisches an sich hatte: Sie müssen schon ganz ablegen, sonst können wir nicht anfangen.
Also zog ich mich aus und lag kurz darauf nackt auf der Liege, auf dem Bauch, zugedeckt von ihr mit einem Badelaken, das mir vom Nacken bis zu den Waden reichte.
Die Massage begann an Füßen, mit sanften streichenden Bewegungen über die Sohle, über den Rist, fest von den Fersen zu den Zehen. Dann spürte ich, wie sie mit beiden Daumen die Sohle presste, und wie durch ein Wunder kam es mir vor, als massierte die Frau nicht allein, als berührten mich viele Hände mit jedem Druck der Daumen in meine Sohlen, einmal streichelnd, tastend, dann wieder unerwartet fest zupackend, im Nacken, an den Schultern, den Flanken, sogar am Bauch, auf dem ich doch lag. Ich schloss die Augen und überließ mich den offenbar kundigen Händen.
Ich glaube, ich döste sogar ein. Jedenfalls war ich völlig desorientiert, als mich ein stechender Schmerz zurück in die Wirklichkeit holte. Die Masseurin kniete auf meinen Oberschenkeln und presste mit aller Kraft ihre angewinkelten Ellbogen in meine, wie ich nun jammernd feststellte, völlig verhärteten Schultern. Wie konnte eine so zart anmutende Person nur so schwer sein, sich mit solcher Kraft geradezu in meinen Körper bohren?
Da haben wir es! triumphierte sie und ließ kein bisschen ab. Man muss stark pressen, sagte sie, sonst löst es sich nicht.
War ich eben noch vermeintlich entspannt geschwebt, bäumte ich mich nun unter Schmerzen auf, die kaum auszuhalten waren. Was sollte das alles? Warum hockte diese Frau auf mir wie ein Dybbuk? Ich war nah daran zu schreien, dass sie aufhören soll, doch da – endlich – ließ der Schmerz nach, und statt der harten Knie und Ellbogen spürte ich zwei kleine weiche Füße auf meinen Oberschenkeln. Offenbar hielt sich der goldene Drache nun an der Stange über der Liege fest, während er Zentimeter für Zentimeter über meinen Körper tänzelte und mir so die schmerzhaften Verspannungen, die ich eben noch gespürt hatte, aus den Muskeln knetete.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)