Von meinem Speiseplan – wenn man es so nennen konnte – strich Katelyn lediglich die ungezählten Gläser latte macchiato, die ich üblicherweise während der Arbeit trank. Stattdessen fand ich jeden Morgen auf meinem Schreibtisch drei Literflaschen Mineralwasser, die ich, über den Tag verteilt, zu trinken hatte. Darüber hinaus, meinte sie, würde mein Körper mir sehr bald von sich aus signalisieren, was und wieviel er brauchte.
Das Training bestand im wesentlichen aus einem Pushup-Programm und Pilates. Zunächst übten wir atmen und diverse Varianten von Liegestützen in sauberer Ausführung. Als ich mit dem Training begann, schaffte ich fünfzehn bis zwanzig. Das Ziel, meinte Katelyn, liege bei hundert, was mir unmöglich erreichbar erschien. Allerdings machte ich sehr schnell deutliche Fortschritte.
Montags und mittwochs hatte ich über den Tag verteilt acht Sets zu bestreiten, jeweils bis zur Erschöpfung und von Set zu Set in einer anderen Variation der Ausführung. Die Pushups ließen sich problemlos in meinen Tagesablauf integrieren. Aller eineinhalb bis zwei Stunden konnte ich immer fünf Minuten finden, um sie zu absolvieren und anschließend wieder zu Atem zu kommen. Gelegentlich schaute Katelyn in meinem Büro vorbei, um meine Haltung und die Atmung zu kontrollieren. Jedes Set wurde protokolliert, und die grafischen Auswertungen meiner Bemühungen waren ermutigend: Die drei Kurven des Charts, die Maximal-, Minimal- und Durchschnittsanzahl pro Set anzeigten, kletterten nahezu stetig nach oben. Von Trainingstag zu Trainingstag verbesserte ich mich um einige Prozentpunkte, und wenn man den Trend der Kurven in die Zukunft projizierte, konnte man nur annehmen, dass ich die magische Hunderterschwelle innerhalb weniger Monate erreichen würde.
Die Erfolge begeisterten mich. Die Nebenwirkungen allerdings waren geradezu elektrisierend. Am Abend eines solchen Trainingstages spürte ich, was ich geleistet hatte. Ich fiel erschöpft ins Bett und schlief sofort ein, ganz gleich, was für knifflige Probleme ich tagsüber am Schreibtisch gewälzt hatte. Untertags aber fühlte ich mich trotz der Anstrengung wie unter Aufputschmitteln, energiegeladen, kraftvoll und konzentriert. Es kam mir so vor, als würde ich mich, während ich mich körperlich verausgabte, tatsächlich mit einem gehörigen Quantum Zusatzenergie versorgen. Je mehr mein Körper zu tun bekam, desto leichter fiel mir die geistige Arbeit. Es war faszinierend.
Ebenso bemerkenswert war die körperliche Verwandlung, die sehr bald einsetzte. In den ersten sechs Wochen nahm ich zehn Kilo ab. Dann verlangsamte sich der Gewichtsverlust. Die Speckröllchen tauten ab. Dafür wuchsen die Muskeln. Ich musste neue Anzüge kaufen, Hosen mit deutlich engerem Bund, Jacketts für die breiteren Schultern. Nach drei Monaten wurden die Konturen meiner Bauchmuskeln sichtbar und tiefe Lendenlinien, wie ich sie zuvor nur von klassischen Statuen gekannt hatte – und natürlich von Haymans Bildern…
Wenn ich mich im Spiegel betrachtete – und ich gebe freimütig zu, dass ich es nun gern und oft tat – beschlich mich der Gedanke, dass ich mehr und mehr dem Pan zu ähneln begann, den Hayman in seinen Gemälden in Szene gesetzt hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich eines Tages festgestellt hätte, dass mir Fell auf den Schenkeln zu sprießen beginnt. Hätte ich meine Füße untersuchen sollen und meine Schläfen? So weit trieb ich es dann doch nicht.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)
Am 14. Juni 2011 um 07:25 Uhr
[…] Muskelzuwachs schrieb ich den Pushups zu, den Gewichtsverlust meinen veränderten Essgewohnheiten. Was allerdings die panische […]