Spuren von THC

4. Juni 2011

EEGMit der Firma, das heißt mit Matana, war ich schnell handelseinig. Es ging um Versorgungsfragen. Was würde geschehen, wenn etwas schiefging, ich etwa das Augenlicht verlor oder irgendwelche anderen irreparablen Schäden davontrug? Eine Versicherung kam bei diesem Geheimprojekt nicht infrage. Die Firma würde sich kümmern müssen. Und das würde sie, ließ mich Matana wissen. Er hatte, wie sich herausstellte, bereits alles geplant und vorbereitet. Die Anwälte hatten einen Vertrag aufgesetzt, der alle Eventualitäten regelte und nur noch auf meine Unterschrift wartete.

Einige der Regelungen, die der Vertrag für die Dauer des Experiments vorsah, überraschten mich, weil sie den Eindruck erweckten, als sollte ich unter Personenschutz gestellt werden. Ich würde einen Fahrer bekommen, weil wir die Auswirkungen des Experiments auf meine Fahrtüchtigkeit noch nicht abschätzen und keinen Unfall riskieren konnten. Auch sollte ich eine Art medizinischer Leibgarde erhalten. Ein Team von ausgesuchten Ärzten würde sich um mich kümmern, und einer von ihnen würde immer in meiner Nähe sein, tags wie nachts. Überhaupt würden die Ärzte nun erst einmal das Regime übernehmen.

Eine Woche lange untersuchten sie mich eingehend, maßen Herzrhythmus und Hirnströme, erstellten Blutbilder, ermittelten meinen Körperfettanteil und meine körperliche Belastbarkeit, testeten mich auf allergische Reaktionen und erstellten im Computertomographen ein detailliertes Abbild meines Gehirns – im Ruhezustand und in simulierten Stresssituationen. Man hätte den Eindruck bekommen können, ich sollte auf eine Marsmission geschickt oder für die Olympiade vorbereitet werden. Vergleichbares hatte ich jedenfalls noch nie erlebt und auch nie damit gerechnet, je in die Situation zu kommen, derart intensiv unter die medizinische Lupe genommen zu werden. Als die Ärzte ihren Bericht vorlegten, schien es denn auch, als wäre das Experiment gescheitert, noch bevor wir begonnen hatten.

Das Verdikt war niederschmetternd. Mein Geist mochte fit sein, mein Körper war es nicht. Bei meinem Lebenswandel, wurde mir beschieden, dem wenigen Schlaf, nachlässiger Ernährung und einer gehörigen Portion Stress durch zu viel Arbeit, sei ich eher ein Kandidat für einen frühen Herzinfarkt als für ein Experiment, wie wir es vorhatten. Außerdem hatten die Weißkittel Spuren von THC gefunden, was mich nicht überraschte und Matana belustigte, die Ärzte aber befürchten ließ, dass ich das Experiment womöglich ruinieren würde, wenn ich in den zu erwartenden stressigen Monaten, die mir bevorstünden, zu einem Joint greifen sollte.

Um mich überhaupt als Prototyp des homo unicom zu qualifizieren, würde ich fit werden müssen. Für das Experiment bedeutete dies einige Monate Verzögerung und für mich ein strenges Programm, das mich aus meinem bis dahin gewohnten Alltag katapultieren würde. Acht Stunden Schlaf pro Tag wurden mir verordnet, eine Ernährungsumstellung und ein Fitnessprogramm, das mir, der ich mit Sport nie etwas am Hut gehabt hatte, schlicht Angst einflößte. Von berauschenden Substanzen jeglicher Art hätte ich mich ohnehin fernzuhalten. Ein halbes Jahr würde man mir Zeit geben, aus dem gelegentlich kiffenden Schreibtischhocker Ed Rosen einen Athleten zu machen, der sich eventuell, aber auch nur eventuell, eignen könnte für das Experiment, das Matana mir vorgeschlagen hatte.

aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)

Eine Reaktion zu “Spuren von THC”

  1. Angst und Verrat « Turmsegler

    […] einmal diese Aussichten konnten meinen Enthusiasmus bremsen. Ich war entschlossen und unterschrieb den Vertrag, und […]

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