Mittelgambit

30. Januar 2011

e2-e4
1. e2-e4 …

Heute, dachte ich, würde ich die Partie verlieren, obgleich Matana, um es mir leichter zu machen, sogar Tage zuvor angekündigt hatte, dass er ein Mittelgambit spielen würde. Ich war schlecht vorbereitet. Matana ist ein Eröffnungsmeister, eine Art wandelnde Eröffnungsdatenbank. Mühelos repetiert er ohne nachzudenken die komplexesten Varianten von Auftaktzügen. Ich hätte mich schlau machen müssen, aber es gab ganze Bücher allein über diese Eröffnung, und über die »Skandinavische Verteidigung mit vertauschten Farben«, bei der Matana nicht einmal einen Bauern würde opfern müssen, um kraftvoll und mit Tempo ins Spiel zu kommen, war ich bei meinen Studien nicht hinausgekommen. Dabei hing bei unseren Partien für mich alles davon ab, mich mit Würde ins Mittelspiel zu retten. In unübersichtlichen Situationen mit vielen strategischen Möglichkeiten konnte ich am ehesten eine Partie für mich entscheiden oder doch wenigstens ins Remis führen. Landeten wir erst einmal in einem figurenarmen Endspiel, war gegen Matana gar nichts mehr auszurichten. Dann führte er mich vor wie einen Anfänger und würzte sich seinen Triumph noch gern mit der Ankündigung: Matt in drei Zügen.

aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)

 

••• Jetzt brauche ich Hilfe von den Schachkundigen unter den Turmseglern. Ich habe einen ambitionierten erzählerischen Plan, dessen Umsetzung sich schwierig gestaltet.

Was will ich tun? – Matana und Rosen setzen sich nieder zu ihrer Partie. Rosen spielt weiß. Natürlich könnte er Matanas Ankündigung, ein Mittelgambit zu spielen, leicht vereiteln, indem er bspw. mit d2-d4 eröffnet. Rosen entschließt sich aber, Matana sein Mittelgambit zu gönnen und eröffnet mit e2-e4. Matana aber irritiert Rosen, spielt keineswegs Mittelgambit, sondern geht in die Skandinavische Verteidigung, die Rosen sich »mit vertauschten Farben« eigentlich sich für sich vorgenommen hatte…

Während des Spiels sollen Matana und Rosen ein sehr wichtiges Gespräch führen. Matana unterbreitet Rosen einen Vorschlag. Nimmt Rosen an, wird dies sein Leben verändern. Er wird räumlich sehen können, was er aufgrund seines angeborenen Augenfehlers bisher nicht kann.

Bei dieser Frage unterbrechen die beiden die Partie. Wie der Ausgang der Partie offen bleibt, so bleibt auch Rosen vorerst die Entscheidung schuldig.

Ich habe nun vor, Gespräch und Partie zu erzählen. Die Partie soll die Dramaturgie des Gesprächs widerspiegeln und dort unterbrochen werden, wo Rosen (laut Vorrede) im Vorteil ist: in einem ausgewogenen Mittelspiel mit vielen strategischen Möglichkeiten.

Da stellen sich aber gleich mehrere Fragen. Kann man davon ausgehen, dass die meisten Leser die Koordinatenaufteilung eines Schachbrettes kennen und also zumindest die Langnotation verstehen werden? Die Partie verfolgen zu können, wäre für den Leser nur ein Goodie, nicht notwendig. Es wäre lediglich wichtig, dass dem Leser klar ist, dass mit der Angabe e2-e4 ein Schachzug gemeint ist. Der Erzähler könnte das sparsam kommentieren. Aber wie?

Das wäre meine Frage an die Experten. Mich verlassen bei Zug 4 die Einsichten, und ich wäre sehr dankbar für eure Kommentare.

1. e2-e4 d7-d5 Weiß lässt alles offen, Schwarz zieht aber nicht zum Mittelgambit, sondern in die Skandinavische Verteidigung
2. exd5 Sg8-f6 Weiß klassisch, Schwarz geht in Skandinavisch Center Counter
3. d2-d4 Sf6xd5 Ooops, macht Weiß da einen Fehler?
4. Sg1-f3 g7-g6 Hätte Weiß wohl schon im 2. Zug gehen sollen
5. Lf1-e2 Lf8-g7 etc. etc.
6. 0-0 0-0
7. Tf1-e1 Sb8-c6
8. c2-c3 Lc8-f5
9. Sb1-a3 Tf8-e8
10. Sa3-c4 a7-a6
11. Le2-d3 Dd8-c8
12. Dd1-c2

d7-d5
1. … d7-d5


2. exd5 …


2. … Sg8-f6


3. d2-d4 …


3. … Sf6xd5


4. Sg1-f3 …


4. … g7-g6


5. Lf1-e2 …


5. … Lf8-g7


6. 0-0 …


6. … 0-0


7. Tf1-e1 …


7. … Sb8-c6


8. c2-c3 …


8. … Lc8-f5


9. Sb1-a3 …


9. … Tf8-e8


10. Sa3-c4 …


10. … a7-a6


11. Le2-d3 …


11. … Dd8-c8


12. Dd1-c2 …

Hier noch der Fortgang der Partie bis ins Endspiel in Kurznotation. Wie ist die Stellung einzuschätzen? Ist der leichte Materialvorteil bedeutsam? Oder kann Matana mit Schwarz als gewiefter Endspieler die Partie noch für sich entscheiden?

12. a4 b6
13. Dc2 Lxd3
14. Dxd3 e6
15. Ld2 Db7
16. b4 b5
17. axb5 axb5
18. Sa5 Sxa5
19. bxa5 c6
20. c4 bxc4
21. Dxc4 Tab8
22. a6 Da7
23. Dxc6 Tec8
24. Da4 Sb6
25. Da2 Sd5
26. Teb1 Txb1+
27. Dxb1 Lxd4
28. Sxd4 Dxd4
29. a7 Dxd2
30. Db8 Dc3
31. Dxc8+ Dxc8
32. a8=D Dxa8
33. Txa8+ Lg7
33. ???

16 Reaktionen zu “Mittelgambit”

  1. Daniel

    also Schach hab ich schon mal gespielt … vielleicht soviel wie ein durchschnittlicher Leser… spricht die koordinaten sind kein Problem …
    aber die ganzen anderen Ausdrücke!!!
    Gambit, Skandinavisch, vertauschte Farben …
    Also mein Vorschlag:
    1) entweder erklärst du dem Leser was damit gemeint ist – so wie Du es z.B. bei den jüdischen Begriffen ja auch tust! oder
    2) du gehst bewusst das Risiko ein, den Leser vor den Kopf zu schlagen, der garnichts aber auch gar nichts davon versteht was Du uns damit sagen willst! :-( oder
    3) Du gibst die Erklärung im Annex (iiiigitt ja ja ich weiss sowas magst Du nicht :-) oder
    4) Du lässt die Begriffe einfach weg! Der Schachprofi wird das ggf. selbst erkennen und sich freuen, der Laie ist wenigstens nicht deprimiert..

  2. eine empfehlung

    Ich empfehle Ihnen, mit Herrn Fernando Offermann Kontakt aufzunehmen, er ist ziemlich sicher ein sehr guter Ratgeber für derlei Situationen. Leider habe ich seine aktuelle Mailadresse nicht, sie dürfte aber nicht schwer in Erfahrung zu bringen sein. MfG, viel Erfolg.

  3. ksklein

    Du erreichst ihn bestimmt über den goldenen Fisch (A. L. Seyerlein)

  4. Benjamin Stein

    Das kann ich versuchen. Aber ALS liest doch nur aller 2 Wochen Mails :-) Mal sehen, ob ich Erfolg habe.

  5. HF

    Bei der Beschreibung des Schachspiels würde ich mich zurück halten. Ich spiele ab und zu und gerne Schach, aber Spielbeschreibungen an Hand von Zugnotationen (ob mit oder ohne Erläuterungen) halte ich in einer Erzählung/einem Roman für zu speziell. Nachzuvollziehen sind die nur, wenn man ein Brett dabei hat und die Züge nachstellt oder – wie hier im Artikel – die Bretter mit einbaut. Das freut den Spezialisten, aber die Masse der Leser wird das nicht nachvollziehen (sofern überhaupt Schachkenntnisse vorhanden sind).

    Wäre es nicht besser, nur die Spielkonsequenzen anzudeuten, ohne Notationen – es geht ja, so ich es richtig verstehe, nicht um ein Schachlehrbuch, sondern das Schachspiel illustriert die Beziehung Rosen:Mantana.

  6. Benjamin Stein

    Ich will es ja nicht übertreiben. Hmm, ich schau mal, ob ich zeitnah eine Beispielpassage posten kann, damit man sieht, was ich genau meine.

  7. Daniel

    Ich bin mit HF 100% einer Meinung!

    sind ja nicht alle so erleuchtet wie Du :-)

  8. ksklein

    *buahaha…. hihihi

    Aber im Ernst…. ich glaube Benjamin könnte das schon so schreiben, dass es dem „Normalen“ wie mir verständlich wird. Ich warte auf die Textbeispiele und schau dann, ob ich es verstehe.

  9. Benjamin Stein

    Es könnte in etwa so weitergehen:

    Gestern allerdings wirkte Matana seltsam zerstreut, wie abwesend. Als wir uns ans Brett setzten, hatten wir noch kaum ein Wort gesprochen. Ich spielte Weiß und überlegte, ob ich den Damenbauern ziehen sollte, um Matanas angekündigte Eröffnungsstrategie von vornherein zu durchkreuzen. Aber es kam mir unsportlich vor, und so spielte ich e2-e4 und erwartete den Gegenzug zum angedrohten Mittelgambit.

    Statt wie üblich ohne Nachdenken zu ziehen, zögerte Matana, setzte schließlich den Damenbauern auf d5 und griff mich an. Als hätte er gewusst, dass ich mich auf die »Skandinavische Verteidigung mit vertauschten Farben« vorbereitet hatte, spielte er nun selbst »skandinavisch« und hatte mich damit bereits mit dem ersten Zug in Verlegenheit gebracht.

    Ich schlug seinen Bauern, doch statt zurückzuschlagen, nahm Matana den Bauernverlust erst einmal hin und zog mit dem Springer auf f6.

    Skandinavisch Center Counter, kommentierte er und lehnte sich zurück.

    Ich mochte noch nicht verloren sein, aber ich musste improvisieren. Während Matana wie üblich aus seinem unerschöpflichen Vorrat an Eröffnungsvarianten schöpfte, war ich bereits ins Grübeln gekommen – ein ungleiches Spiel, als würde ich joggen, während er entspannt neben mir her radelt.

    Erinnerst Du Dich noch an Dein Vorstellungsgespräch? fragte er.

  10. Daniel

    ok also ich oute mich jetzt ..
    Was ist ein Mittelgambit?
    Und was ist „Skandinavisch“?

    OK, ich hoffe ich werde den Rest des Buches auch trotzdem verstehen … man muss ja nicht alles verstehen .. wieviele Witze und Karrikaturen sind uns wohl bei Asterix durchgerutscht und wir haben sie trotzdem gern gelesen?

  11. Benjamin Stein

    @Daniel: Da bin ich jetzt schon überrascht, dass Du das so komplex nimmst. Es gibt keinen versteckten Witz. Es wird ja erzählt, was in der Partie geschieht. Mittelgambit, Skandinavisch, etc. etc. sind offenbar Schachstrategien. Und aus dem Beispiel sollte hervorgehen: Matana hat eine Strategie, Rosen keine, jedenfalls nicht mehr nach dem zweiten Zug. Und genau das wird nun im Gespräch passieren: Matana stellt eine Frage und noch eine zweite, und Rosen wird ins Schwimmen kommen – genau so wie in der Partie schon im dritten Zug. Etc.

  12. HF

    Die Version im Kommentar kommt meiner Vorstellung sehr nahe. Diese Verwendung von wenigen Schachtermini muss ich als Leser akzeptieren, kann ggf. nachschlagen. Das passiert mir auch mit anderen Fachbegriffen. Auch wenn ich dann trotzdem nicht dem Schachspiel zu 100% folgen kann, erschliesst sich mir die Bedeutung fuer die Handlung.

  13. Deep Blue « Turmsegler

    […] Warum ausgerechnet Schach? Weil es ein strategisches Spiel ist. Das korrespondiert mit Strategien, wie sie Matana ganz […]

  14. Bonaventura

    Entschuldige, aber Mittelgambit und Skandinavisch sind keine „Schachstrategien“, sondern Eröffnungen. Und niemand spielt »skandinavisch«, sondern er spielt Skandinavisch (wird als Adjektiv unter Schachspielern so nicht benutzt). Schwarz kann nicht „zum Mittelgambit ziehen“ — das sagt so niemand, der was von der Sache versteht. Und wenn Weiß hier keine Ahnung von Eröffnungen haben soll, warum spielt er dann neun Züge lang Theorie? Besonders 9. Sa3 ist für jemanden, der von der Theorie keine Ahnung hat, ziemlich kontraintuitiv.

    Ich schaue das ganze gern im Zusammenhang durch und gebe Dir einen schachlich kompetenten Kommentar dazu. Schick mir was per Mail, wenn Du magst.

  15. Benjamin Stein

    @Bonaventura: Danke für den Hinweis zu Skandinavisch vs. skandinavisch.

    Der Text ist ja unterdessen fertig, und ich denke, dass ich genau die Punkte, die Du erwähnst korrekt gestaltet habe.

    Zunächst: Die Partie ist echt. Ich habe – mit meinem halbseidenen Eröffnungswissen – Weiß gegen den Computer gespielt. Das ist, glaube ich, ein realistischer Versuchsaufbau für eine Partie, in der Rosen gegen den Eröffnungsguru Matana spielt. Die beiden beschäftigen sich ja mit Eröffnungen (die ich übrigens durchaus für strategische Spielzüge halte, da sie ja gezielt die Figuren entwickeln). Deswegen sagt Matana ja an: Mittelgambit. Die Farben losen sie dann aber zu. Es liegt nun an Rosen, das geplante Mittelgambit auch tatsächlich zu spielen. Entsprechend zieht er e2-e4, aber Matana geht mit d7-d5 einen anderen Weg.

    Ich schicke Dir die fragliche Passage mal per Mail. Bin sehr gespannt, ob Du dann noch so »unduldsam« bist :-)

  16. Irgendwas in Prosa « Turmsegler

    […] Bonaventura war eigens aus Solingen angereist. Man erinnere sich: Ihm ist es zu verdanken, dass die Schach-Partie zwischen Matana und Ed Rosen in »Replay« auch der Untersuchung durch theoriestärkere Schachspieler standhalten kann.Wir hatten im Anschluss […]

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