Katelyn

26. Januar 2011

Yoga Cobra-Pose

Am frühen Abend war ich aus, mit Katelyn, einem fitnessbegeisterten Wirbelwind mit blondem Bob und mädchenhaftem Busen, knapp über Dreißig, im interessantesten Alter. Sie arbeitet als Auditorin für »Anderson, Pinchet & Laurie«, die mit der jährlichen Buchprüfung der Firma betraut sind. Ich traf sie vor einigen Wochen im Aufzug, und da ich mich zwischen dem ersten und zwölften Stockwerk nicht entscheiden konnte, ob ihre Waden, die sie in einem Hauch von Strumpf unterm knielangen Bleistiftrock sehr gekonnt in Szene setze, oder aber ihre grünen Augen mich mehr faszinierten, sprach ich sie an, um Gelegenheit zu bekommen, dieser Frage in Ruhe nachzugehen. Sie war nicht leicht zu entscheiden und verkompliziert sich ganz im Gegenteil von Date zu Date, da ich immer mehr Details an Katelyns Erscheinung entdecke, die mein ästhetisches Vergnügen befeuern.

Tagsüber gehen wir, wenn wir uns in der Firma begegnen, mit knappem Gruß aneinander vorbei, um nicht den Eindruck zu erwecken, persönliche Verbindungen zu einem leitenden Angestellten der zu prüfenden Firma würden womöglich Katelyns unparteiische Prüfungsstrenge untergraben. An den Abenden unserer gelegentlichen Dates sind wir weniger scheu.

Wenn ich zu ihr komme, um sie abzuholen, hat sie ihr tägliches Workout gerade hinter sich und kommt mit nassem Haar im Bademantel aus der Dusche zur Tür. Sie duftet nach allerlei Essenzen und einer, wie ich annehmen muss, magischen Body Lotion, die ihre Haut so samtig macht, dass man sie versonnen streicheln muss. Ich habe nie gesehen, womit sie sich während ihrer Workouts mit Vergnügen quält – Power-Yoga, Spinning oder dergleichen. Es muss irgendetwas Extremes sein. Wenn ich frech den Gürtel ihres Bademantel löse, sie umarme und meine Hand unterm Frotteestoff auf den gestählten Hintern lege, spüre ich ein sachtes Nachvibrieren ihrer Muskeln. Es müssen unmenschliche Anstrengungen sein, denen sie sich aussetzt, aber die Verausgabung beim Workout scheint mit einer Art Endorphinbad einhergehen, das sie trotz der Erschöpfung unfehlbar in Stimmung bringt. So kommen wir nicht viel raus. Die Zubereitung ihrer – einzig akzeptablen – makrobiotischen Mahlzeiten traut sie niemand anderem zu als sich selbst und isst generell nicht auswärts. Die Anfangszeiten der passablen Filme verpassen wir meist, und für Clubs, die erst um Mitternacht öffnen, sind wir beide nicht geschaffen.

Gestern aber sollte es anders sein. Katelyn hatte von einer Ausstellung erfahren, die sie unbedingt mit mir besuchen wollte. Gezeigt wurden Gemälde eines israelischen Malers, der sich wenige Jahre zuvor in New York niedergelassen und dessen Namen ich noch nie zuvor gehört hatte: Hayman.

aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)

5 Reaktionen zu “Katelyn”

  1. HF

    knapp über Dreißig, im interessantesten Alter.

    Schade, dann bin ich schon lange uninteressant (oder gilt das nur für Frauen?) ;-)

  2. ksklein

    Klar gilt das nur für Frauen. Zumindest aus Ed Rosens Sicht. Wenn ich den Autor doch nur outen könnte…. aber nein. ich werde heute nichts verraten. Es geht schliesslich um eine Figur und nicht um Herrn Stein.

  3. moran

    hm..haymans verstorbene frau (sichrona liwracha elef peamim) hieß katalin (tehora)..

  4. Benjamin Stein

    Woher kennst Du Hayman?!

    Ich wusste es nicht. Isch schwörs. Aber Zufälle gibt es ja nicht :-)

  5. Αρκαδία (I) « Turmsegler

    […] Tür stand ein Aufpasser, direkt neben einem handgeschriebenen Hinweisschild: »Adults only«.Katelyn grinste. Ich hatte ja keine Ahnung, wohin sie mich gelotst hatte. Wir traten ein, und Katelyn hakte […]

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