Reden wir über Religion…

24. Januar 2011

Wer mit Engeln verkehrt, ist ihnen in der Regel auf einem Ausweg begegnet.

••• Philipp Engel von der »Jüdischen Allgemeinen« hat mich letzte Woche für die Rubrik »Redezeit« interviewt. Online ist der Beitrag bereits erschienen.

21 Reaktionen zu “Reden wir über Religion…”

  1. Melusine Barby

    Lieber Benjamin Stein,

    das Interview habe ich mit großem Interesse gelesen, jedoch die Antwort auf die Frage, was Sie zur Orthodoxie bewogen (kann man das so sagen?) hat, letztlich nicht verstanden. Was wollten Sie Ihren Kindern geben? Halt in einem Regelwerk, Verbindung zur Tradition ihrer Vorfahren?

    Mich interessiert es so sehr, weil mein eigener Glaubensweg gewissermaßen anders herum verläuft. Ich in sehr fromm evangelisch erzogen worden, habe als Jugendliche aufbegehrt und bin als Erwachsene wieder zum Glauben zurück kehrt. Die Entscheidung für eine Ehe und Kinder war bei mir jedoch damit verbunden, den Glauben völlig zu meiner persönlichen Angelegenheit zu machen, um den Kindern gerade die größtmögliche Freiheit zu geben. Zwar las ich meinen Kindern aus der Bibel, jedoch wie aus anderen Büchern auch und über mein eigenes „Glaubensbekenntnisse“ spreche ich nicht mit ihnen. Ich gehorche den Geboten (die ja weit weniger umfangreich sind als die jüdisch-orthodoxen), aber ohne Hoffnung, dass der Gehorsam mich „retten“ könnte. Was ich fragen möchte, ist: Wie kann man rechtfertigen, die Entscheidung für oder gegen Glauben (eine zutiefst Irrationale, notwendigerweise) Kindern abzunehmen?

    Kürzlich unterhielt ich mich mit einer jüdischen Freundin, die nicht orthodox lebt. Doch brachte mich zu Nachdenken, was sie sagte: Die Orthodoxen, meinte sie, tragen weiter, was allein uns ausmacht. Wir sind ein Volk, das sich nicht über ein Land identifiziert, sondern über die Tradition. Das ist in der Tat einzigartig. Würden Sie das auch sagen: Dass der Glaube und die Identität als Volk für Juden in eins fallen? Das wäre dann ein entscheidender Unterschied zu dem beiden anderen monotheistischen Religion.

    Entschuldigen Sie die vielen Fragen. Es beschäftigt mich einfach sehr.

    Herzliche Grüße
    M.

  2. Jens

    Ein sehr interessantes Interview. Bin über die Seite der JA auf Ihr Blog, das ebenfalls nicht uninteressant ist, aufmerksam geworden.

    Auch von mit herzliche Grüße
    J.

  3. Benjamin Stein

    @Melusine Barby: Darauf antworte ich gerne, aber etwas später. Geduld.

  4. Herr H

    Ich will es jetzt endlich wissen, ich kann seit ewigkeiten nicht mehr schlafen.

    Adam soll 930 Jahre alt geworden sein, wie bitte hat er das gemacht und dann, er war nicht der Einzige.

    Warum sterben die Menschen heute schon mit 150? Das ist doch peinlich, ich meine für das Jahrhundert.

  5. Benjamin Stein

    … wie bitte hat er das gemacht …

    Seine Uhr hat schneller getickt, ist doch klar!

  6. Herr H

    Der hatte doch noch gar keine Uhr, was erzählst Du denn da :-), so was..wann gab es eigentlich die erste Uhr? Das sind jetzt Fragen, die haben allerdings nix mehr mit der eigentlichen zu tun…

    Ich hatte übrigens mal eine hebräische Bibel in der Hand, aus dem Jahre 1750..sehr interessant, zumal, man es umdrehen muss..na ja, der Adam, ich mach mir immer noch Gedanken und wie alt ist Eva geworden? Das wird überhaupt nicht erwähnt. Aber sie ist selber schuld, sie hätte sofort eine Frauenbibel schreiben müssen, am besten auf den Rücken von Adam

  7. Benjamin Stein

    … wie alt ist Eva geworden?

    Sie lebt noch. Ich kenne sie. Sie stellen heute aber wieder tiefsinnige Fragen, Herr H!

  8. ksklein

    @Benjamin: :D

  9. Herr H

    weil ich die bibel lese, ich werde noch gläubig…Eva lebt also und heißt mit nachnamen Klein?

  10. ksklein

    neeeeeee….. ich zumindest heisse nicht eva. und die äpfel esse ich lieber selber. ich teile nicht!

  11. Benjamin Stein

    Eva lebt also und heißt mit nachnamen Klein?

    Nein, sie heißt Fromm.

    Herr H, ich stocke hiermit Ihr heutiges Gedichtepensum um zwei Sonette nach unterschiedlichem Reimschema auf. Das sollte Ihre schöpferische Überschussenergie für heute binden.

  12. Herr H

    sie wissen doch herr stein, dass ich es nicht so habe mit der sonette, obwohl ich es als wort sehr schön finde und es auch gerne von all den sonettenkönigen und königinnen lese…

    Noah wurde übrigens auch sehr alt und wie sie nicht alle heißen, im ernst, glaubst du daswar ein fehler oder haben die anders gerechnet, es steht da wirklich drin

  13. Benjamin Stein

    Betrachte es doch literarisch: Die ersten Menschen waren als Unsterbliche konzipiert und haben die Unsterblichkeit vergeigt. Aber das Menschengeschlecht durfte sich an die Sterblichkeit gewöhnen: Das Lebensalter sank, während sich die Distanz zwischen Mensch und Gott immer mehr vergrößerte – bis es schließlich auf die sprichwörtlich gewordenen 120 Jahre begrenzt wurde.

    Biblische Texte lesen ohne Kommentare, ist schwierig. Aber irgendwo muss man ja beginnen. Tatsächlich haben diverse Kommentatoren sich Gedanken gemacht über biblische Zeitmaße wie etwa die sieben Tage der Schöpfung, bei denen es sich gut und gern auch um sieben Zeitalter handeln kann.

    Wenn Du mal ordentlich Denkansporn brauchst, empfehle ich den »Kusari« von Rabbi Yehuda Halevi. Der beschäftigt sich in philosophischer Tiefe mit solchen Fragen.

  14. Herr H

    Das ist einleuchtend, ich meine das mit dem Alter, es ist also eine von Gott bemessene Zeit und die können wir gar nicht begreifen.

    Du kannst dir ja denken, dass ich eher spielerisch an die Sache gehe, das bedeutet aber nicht dass ich das nicht ernst nehme.

    Die Geschichte mit Noah habe ich immer gemocht, obwohl es eine gemeinheit ist, sie zu mögen.

    Gott hat ihn ausgesucht, weil er der Bravste war, oder ich stell mir vor, dass er als einziger gemerkt hat worauf es ankommt

  15. Benjamin Stein

    Nun aber doch noch zu Ihnen, Melusine Barby: Ich denke, es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Christentum und Gesetzesreligionen. Und es gibt einen Unterschied zwischen den Christentum und speziell dem Judentum im Hinblick auf den Umstand, dass durch die Torah ein ziemlich großer Haufen entlaufener Sklaven zu einem Volk geworden ist.

    In Gesetzesreligionen liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Handeln denn auf dem Glauben. Die Ausführung der Gebote und die Achtung der Verbote gibt den Rahmen ab, und Glaubensfragen sind deutlich »flexibler« gehandhabt. Das orthodoxe Judentum beispielsweise kennt die 613 Ge- und Verbote und dazu die unzähligen rabbinischen Vorschriften drumherum. Die Glaubenssätze hingegen, die überhaupt erst von Maimonides in in konsensfähiger Form formuliert wurden, sind ganze 13.

    Die Gesetzlichkeit gibt also den Rahmen ab und bestimmt auch die Erziehung. Die Kinder lernen Hebräisch, die Brachot und Gebete, sie lernen, was Schabbat ist und wie man ihn hält, was Kaschrut bedeutet und wie man sie hält etc. Verpflichtet sind sie allerdings bis zur religiösen Mündigkeit nicht.

    Das Glaubensbekenntnis »Schma Israel« kommt mit sehr wenig tatsächlichen Glaubenssätzen aus, etwa Gottes Einzigkeit, der Befreiung aus der Sklaverei und eben der Aufgabe, diese wesentlichen Dinge an die Kinder weiterzugeben.

    Grad eben, als ich meine Kinder ins Bett gebracht habe, hatte ich ein Gespräch mit meinem Sohn, der sich ein sichtbares Zeichen wünscht, etwa eine Feuersäule, weil das die Israeliten in der Wüste doch auch gehabt hätten. Er wünscht sich das als Beweis, dass die »Geschichten von früher« auch wirklich stimmen. Ich muss ihm dann erklären, dass die Zeichen in der Regel deutlich unscheinbarer sind, und dass die Aussage der Geschichte eigentlich wichtiger ist als die Frage, ob sie sich genau so zugetragen hat. Die Befreiung aus der Sklaverei beispielsweise, die wir an Pessach feiern.

    Ich muss da immer an eine Zeile aus der »Entführung aus dem Serail« denken, wo Blondchen singt: »Ein Mensch, in Freiheit geboren, lässt niemals sich sklavisch behandeln.« Ich würde sagen: Wenn man die Sklaverei erlebt und überwunden hat, ist man noch viel eher dagegen gefeit. Und die jährliche Erfahrung des Seder-Abends, an dem die Kinder ja teilnehmen, vermittelt all das.

    Was man über die Traditionen vermittelt, ist also eine »condition humaine«. Darin kann ich keine »Vergewaltigung« sehen. Ob dann der Glaube kommt oder nicht? Wer weiß es. Ich kann es heute nicht sagen, ob mein Sohn irgendwann sagen wird: Aber Papa, das sind schöne Geschichte, aber Gott gibt es nicht. Das ist der spirituelle Weg, und ich kann nur das Rüstzeug mitgeben, dass er seinen Weg früher oder später selbst findet. Und hoffentlich wird er dann bereit sein, auch die Aufgabe anzunehmen, die Tradition und die an sie geknüpften Werte weiterzugeben.

    Das ist nun freilich meine sehr persönliche Meinung, und sicher geht es in vielen orthodoxen Familien erheblich ideologischer zu.

    Glauben mag persönliche Angelegenheit sein. Die Annahme des Auftrags, Tradition weiterzugeben, ist sicher nicht privat. Ich wusste bis zu meinem 25. Lebensjahr nicht, dass meine Mutter keine Atheistin ist. Es wäre mir lieber gewesen, sie hätte diese Frage weniger »privat« gehalten.

  16. Benjamin Stein

    Gott hat ihn [Noah] ausgesucht, weil er der Bravste war…

    Nö, lies mal genau. Er war lediglich am wenigsten daneben, und das war in seiner Generation schon allerhand.

  17. Herr H

    Ach so, dann hat sich ja gar nix verändert, dann ist Jesus ja völlig umsonst gestorben…wie so viele andere

  18. Benjamin Stein

    Das sehen die Christen anders als ich.

    Aber ich muss mich jetzt Pan zuwenden und bitte um Verständnis. dass ich mich absentiere.

  19. Herr H

    das müssen sie anders sehen als du, snst hätten sie ein problem.
    Viel Spass mit Pan….und stör ihn nicht, wenn er schläft

  20. Melusine Barby

    Herzlichen Dank für diese ausführliche Antwort. Die Unterschiede zwischen Gesetzesreligionen und dem Christentum werden sehr deutlich. Auch die besondere Bedeutung, die Tradition für das Judentum hat. Ich kann das gedanklich nachvollziehen, ohne es jedoch tatsächlich zu verstehen. (Vielleicht ganz ähnlich wie für einen Nicht-Christen die Sündenvergebung oder die Trinität nur abstrakt nachvollziehbar sind, jedoch unverständlich bleiben).

    Spannend finde ich die letzte Bemerkung über Ihre Mutter. Ganz ähnlich ging es mir mit meinem Vater, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Während wir von den Verwandten mütterlicherseits in strengem Glauben erzogen wurden, hielt mein Vater sich immer „raus“. Er, der „Zugereiste“, äußerte sich nicht über Religion, betete zum Beispiel auch nicht zur Nacht mit uns. Ich dachte viele Jahre, er glaube „nichts“, bis ich auf seinem Nachttisch zufällig eine Bibel liegen sah. Ich fragte ihn und er sagte: „Ich glaube schon, aber nicht wie d i e.“ Die – das waren die Verwandten. Und ich verstand sofort, was er meinte: Dass er einen Glauben lebte, der ihn nicht dazu zwang, in anderen Schuldgefühle zu erzeugen. Denn das konnte mein Vater: Uns zeigen, dass wir in Ordnung waren, so wie wir waren. Das ist auch der Grund, warum ich meinen Kindern „meinen Glauben“ nicht zumute. Er erzeugt Schuldgefühle. Davor will ich sie – so gut es geht – bewahren.

    Einen Glauben, der sich im Befolgen von Regeln erweist und beweist, kann ich aus dieser Geschichte heraus nur schwer verstehen. Ich denke aber, dass es – entgegen der landläufigen Meinung – man solle betonen, dass wir doch letztlich alle an „denselben Gott“ glauben, wichtig ist, die Unterschiede zu erkennen und auszuhalten.

    Herzliche Grüße
    M.

  21. Dorit

    Lieber Benjamin,
    nur einen „Hang zum Ungewissen“…? – Ein „Schuß“ ins Ungewisse kommt dazu, denke ich, oder…? :-)

    Liebe Grüße, Dorit

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