Über (falsche) Zeugen

29. Oktober 2010

••• Was mich beim Torahlernen immer wieder begeistert, ist die Tatsache, dass sich aus einem kurzen Satz heraus eine ungeheure thematische Fülle entfalten kann, weil an einem einzelnen Wort ganze Themenkomplexe hängen. Es ist ein sehr assoziatives, vernetztes Denken, das so geschult wird. Und das Lernen selbst bleibt kurzweilig, weil Abschweifen nicht nur erlaubt, sondern oft nötig oder zumindest fruchtbar ist.

Bevor ich ins 4. Edut-Kapitel des Rambam einsteige, will ich ein paar Voraussetzungen klären, ohne die man den ersten Paragraphen dieses Kapitels kaum durchdringen kann. Der Rambam setzt hier gewisse Kenntnisse beim Studierenden einfach voraus.

In der Einleitung wurde nur erwähnt, dass eine Verurteilung nicht auf Basis der Aussage eines einzelnen Zeugen erfolgen kann. Denn es heißt in Deut. 19:15:

Ein einzelner Zeuge soll nicht gegen jemanden auftreten wegen irgendeiner Ungerechtigkeit oder wegen irgendeiner Sünde, wegen irgendeiner Verfehlung, die er begeht. Nur auf zweier Zeugen Aussage oder auf dreier Zeugen Aussage hin soll eine Sache gültig sein.

Daraus folgt:

  1. Eine Verurteilung kann nicht auf Basis der Aussage eines einzelnen Zeugen erfolgen.
  2. Eine Verurteilung kann nur auf Basis der Aussage zweier oder mehr Zeugen erfolgen, nicht etwa auf Basis von reinen Indizien.
  3. Ob es zwei oder mehr Zeugen sind, spielt keine Rolle, solange es zumindest zwei sind.

Zwei oder mehr Zeugen mit gleicher Aussage bilden eine Gruppe. Ein Zeugnis ist vor Gericht entweder gültig oder nicht, ganz gleich, wie groß die Zeugengruppe ist. Qualitative Unterschiede der Zeugnisse werden nicht angenommen.

Widerspricht im gleichen Streitfall das Zeugnis einer Gruppe dem einer zweiten, sind beide Zeugnisse zu verwerfen, denn sie können nicht beide stimmen, aber da beide gleich zu behandeln sind, kann keinem der Vorzug gegeben werden.

Es gibt nur einen möglichen Weg, falsche Zeugen zu überführen, basierend auf Deut. 19:16-19:

Wenn ein falscher Zeuge gegen jemanden auftritt, um ihn des Ungehorsams zu beschuldigen, dann sollen die beiden Männer, die den Rechtsstreit führen, vor den HERRN treten, vor die Priester und die Richter, die in jenen Tagen dasein werden. Und die Richter sollen [die Sache] genau untersuchen. Und siehe, ist der Zeuge ein Lügenzeuge, hat er gegen seinen Bruder Lüge bezeugt, dann sollt ihr ihm tun, wie er seinem Bruder zu tun gedachte. Und du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.

Solche falschen Zeugen nennt man Edim Zomemim, abgeleitet von der einzig möglichen Art sie zu überführen: Hazamah, d.h. zwei oder mehr andere Zeugen legen ein gültiges Zeugnis ab, aus dem hervorgeht, dass die ersten Zeugen die Tat gar nicht gesehen haben können, weil sie zur fraglichen Zeit an einem anderen Ort gewesen sind.

In diesem Fall ist das Zeugnis der überführten falschen Zeugen nichtig. Werden die Edim Zomemim überführt, nachdem der Angeklagte bereits auf ihr Zeugnis hin verurteilt worden ist, erhalten sie genau die Strafe, die dem Angeklagten vom Gericht auferlegt wurde. Dies ist sicher so in finanziellen Belangen. Bei der Todesstrafe werden die Edim Zomemim nur dann exekutiert, wenn das Urteil am fälschlich Angeklagten noch nicht vollstreckt worden ist. [Die Erklärung würde hier zu weit führen]. Ob bei Körperstrafen (Peitschenhiebe) die gleiche Einschränkung gilt, ist umstritten.

Aus diesen Umständen wird klar, warum die Chakirot (Wann? Wo?) so wesentlich sind. Nur wenn die Zeugen absolut detaillierte und unzweifelhafte Angaben zu Ort und Zeit gemacht haben, könnten sie ggf. per Hazamah als falsche Zeugen überführt werden.

Die Details über Edim Zomemim werden im Talmud im ersten Kapitel des Traktats Makkot behandelt. Auf die Gemara dieses Traktats stützt sich der Rambam im Kapitel 4 der Sektion »Edut«. Dort geht es u.a. um die Frage, unter welchem Umständen zwei Zeugen tatsächlich als zusammgehörig anzusehen sind, so dass ihre übereinstimmenden Einzelaussagen ein gültiges Zeugnis ergeben.

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