Über Zeugen (Einleitung)

17. Oktober 2010

Rambam, Mishne Torah, Shoftim, Über Zeugen
Rambam: Mishne Torah, Shoftim, Über Zeugen

••• In »Diamond District« spielt die Frage verlässlicher Zeugenschaft eine gewisse Rolle. Immerhin geht es um zwei Kriminalfälle, einer davon ein Mord, und die Erzähler der einzelnen Teile des Romans dürfen durchaus als Zeugen gelten. So jedenfalls verstehen sie ihre Rolle. Es stellt sich aber die Frage, ob sie als Zeugen auch verlässlich sind, ob man ihren Aussagen also Glauben schenken darf.

Da sich die Fälle im orthodoxen Umfeld in Antwerpen abspielen, will ich nicht das bürgerliche Gesetzbuch oder die Strafprozessordnung zu Rate ziehen. Stattdessen soll ein anderes Buch der »Rechtsliteratur« befragt werden, »Mishne Torah« (»Wiederholung der Torah«) des Rambam (Rabbi Moshe ben Maimon). »Mishne Torah« besteht aus 14 Büchern, unterteilt in Sektionen, Kapitel und Paragraphen. Im Buch »Shoftim« (Richter) wird man fündig, wenn man mehr zum Thema Zeugenschaft erfahren will. Die Sektion »Edut« (Zeugnis) enthält 22 Kapitel, genau wie die Anzahl der Buchstaben im hebräischen Alphabet. Als ich das feststellte, drängte sich mir die Frage auf, ob der Rambam damit womöglich ausdrücken wollte, dass die Welt ebenso wie auf den 22 Buchstaben auf dem wahrhaftigen Zeugnis im Streitfall steht. Das allerdings bleibt Spekulation, wenn auch eine tiefsinnige.

Zu meiner großen Freude habe ich einen Chavrusa-Partner gefunden, der gemeinsam mit mir diese Sektion aus der »Mishne Torah« lernt, Rav Yechiel Brukner. Da wir beide viel beschäftigt sind, können wir nur 1x pro Wochen zwischen 22:00 Uhr und Mitternacht lernen. Er nimmt sich die Zeit, worüber ich sehr glücklich bin. Ich will hier die Erkenntnisse schriftlich rekapitulieren, damit ich mich später an die Details leichter erinnern kann.

Rambam, Mishne Torah, Shoftim, Über Zeugen
Rambam: Mishne Torah, Shoftim, Über Zeugen

Ebenfalls auf den Rambam geht eine der bekannten Zählungen der 613 Ge- und Verbote der Torah zurück. Seinen Sektionen im »Mishne Torah« stellt der Rambam daher auch jeweils die Ge- und Verbote voran, die in der jeweiligen Sektion behandelt werden. Bei »Edut« sind es acht, drei positive (»Du sollst…«) und fünf negative (»Du sollst nicht…«):

  1. Wer ein Zeugnis hat, ist verpflichtet, Zeugnis abzulegen.
  2. Zeugen müssen befragt und eingehend verhört (untersucht) werden.
  3. Ein Zeuge in einem Kapitalverfahren darf nicht gleichzeitig als Richter dienen.
  4. Ein Urteil darf nicht gefällt werden auf die Aussage nur eines Zeugen hin.
  5. Ein baal avera (sündiger Mensch) darf nicht als Zeuge akzeptiert werden.
  6. Ein Verwandter darf nicht als Zeuge aussagen.
  7. Es darf kein falsches Zeugnis abgelegt werden.
  8. Ein eid zomeim soll die Strafe erhalten, die er dem Angeklagten zugedacht hatte.

Die folgenden Kapitel werden klären, was der Unterschied zwischen Befragung und Verhör ist, was genau unter Kapitalverfahren zählt, was unter einem baal avera genau zu verstehen ist und welche Verwandtschaftsgrade als Zeuge disqualifizieren.

Da ein »eid zomeim« gemäß 4) immer nur zu zweit auftauchen kann, wird der Begriff zumeist auch in der Mehrzahl gebraucht: »eidim zomemim«. Dabei handelt es sich um zwei falsche Zeugen, die sich zum Zweck der Verurteilung eines Unschuldigen zu einem falschen Zeugnis verabredet haben. Es gibt Vorschriften dafür, wie solche Zeugen zu überführen sind. Ist ihre Schuld bewiesen (durch zwei andere Zeugen), schreibt die Torah vor, dass sie genau die Strafe erhalten sollen, die gemäß ihrer Zeugenaussage den Angeklagten getroffen hätte, wäre er verurteilt worden.

Drei meiner »Zeugen« in »Diamond District« sind gemäß dieser Einleitung als Zeugen untauglich: der Schwiegervater (Samuel Lachmann) und die Witwe (Sonia Eis, geb. Lachmann) des Mordopfers Yaacov Eis. Der dritte ist erwiesenermaßen ein Gangster (was man beruhigt einen »baal avera« nennen darf). Und der vierte? Schweigen wir von mir. Das sind ja tolle Aussichten.

Andererseits: Mir geht es ja nicht um einen Prozess, in dem zweifelsfrei eine Schuld erwiesen und der Angeklagte verurteilt wird. Das Nachforschen lohnt dennoch. Man muss davon ausgehen, dass die Torah gute Gründe hat, wenn sie diesen und jenen als Zeugen nicht akzeptiert. Und in diesen Gründen können allein schon allerlei Geschichten versteckt sein.

3 Reaktionen zu “Über Zeugen (Einleitung)”

  1. Über Zeugen (I) « Turmsegler

    […] Das erste Kapitel der Sektion »Edut« des »Mishne Torah« befasst sich mit der Verpflichtung zur Zeugenaussage und den Arten von Fragen, die das Gericht […]

  2. Über Zeugen (II) « Turmsegler

    […] Über Zeugen (II) 22. Oktober 2010 ••• Im zweiten Kapitel der Sektion »Edut« des »Mishne Torah« geht es darum, welche Unterschiede bestehen zwischen den Kategorien von Fragen, die das Gericht zu […]

  3. Über (falsche) Zeugen « Turmsegler

    […] durchdringen kann. Der Rambam setzt hier gewisse Kenntnisse beim Studierenden einfach voraus.In der Einleitung wurde nur erwähnt, dass eine Verurteilung nicht auf Basis der Aussage eines einzelnen Zeugen […]

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