••• Da Jan Faktors neuer Roman die unsittliche Länge von 636 1/2 Seiten hat, werde ich wohl noch eine Weile brauchen, bis ich mehr darüber schreiben kann. »Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag« – das ist jedenfalls mal ein gewichtiger Titel. Und eingetaucht bin ich in Faktors Erzählungen schon allein deswegen liebend gern, weil mich die Frauenwirtschaft, in der Georg in Prag aufwächst, angenehm an die Marková-Frauendynastie aus dem »Alphabet des Juda Liva« erinnert.
Eine Passage will ich, wenn ich auch noch 437 1/2 Seiten vor mir habe, doch gleich mit den Turmseglern teilen. Sie stammt aus dem Kapitel über Georgs »Hauptgroßmutter Lizzy«, die eine echte Optimistin war.
Wenn sie krank war, ließ sie sich nicht gern von anderen bedienen, sie pflegte sich am liebsten allein – leise, unauffällig, sie klagte nie. Um ihre Genesung voranzubringen, badete sie so lange im heißen Wasser, bis sie im Gesicht rot wurde wie ein Krebs – und am nächsten Tag war sie in der Regel tatsächlich wieder gesund und voller Optimismus. Ihren Optimismus versuchte sie sowieso in jeder Lebenslage zu wahren. Auch ihr erster Eindruck von Auschwitz war seinerzeit – trotz einiger Auffälligkeiten – nicht der schlechteste. Nach einem kurzen Blick aus der Fensterluke sagte sie zu ihren Töchtern noch im Viehwaggon:
– Hier wird es gut sein.
Wow! Da musste ich erst einmal absetzen.
Der Einschub »trotz einiger Auffälligkeiten« ist schlicht großartig. Lizzy war eben weder blind noch blöd. Ihr Optimismus lebte nicht auf dem Humus der Verdrängung. Der »kurze Blick aus der Fensterluke« genügte ihr, um zu wissen, wo sie gelandet waren. Dennoch machte sie den Töchtern Mut. Das nenne ich liebevollen Optimismus. Das funktioniert nicht als aufgesetzte Übung, so muss man »gestrickt« sein.