Blick von der (neuen) Fußgängerbrücke entlang des Kanals in Richtung der Brücke, die noch heute zur einzigen Einfahrt zum Ortsteil führt
••• Vor zwei Wochen habe ich mit einem Freund einen Rechercheausflug unternommen, den wir schon im letzten Herbst geplant hatten. Wir waren dann vom frühen Schnee überrascht worden und mussten den Ausflug verschieben.
Besagter Freund hat an diesem idyllisch anmutenden Ort als Kind gelebt. Der malerische Eindruck jedoch täuscht. Der Kanal markierte eine Grenze. Der Ort war mit hohen Zäunen umgeben. Lediglich eine Zufahrtstraße führte über die damals einzige Kanalbrücke hinein in den Wolfratshausener Ortsteil Waldram, der früher Föhrenwald hieß, während des »Dritten Reiches« ein Zwangsarbeitslager und nach 1945 ein sogenanntes »DP Camp« war, ein Lager, in dem »Displaced Persons« auf ihre Ausreise aus Deutschland warteten, zu der es in vielen Fällen nie kam.
Blick aus dem Ort auf die einzige Einfahrt zum ehemaligen DP Camp. Außen zu erkennen das Andreaskreuz. Dort verlaufen die Schienen, über die damals die Transporte das Arbeitslager und spätere DP Camp erreichten.
Der Reihe nach:
Das Lager Föhrenwald, erbaut 1937, war zunächst eine Wohnsiedlung in Einfamilien- und Reihenhaus-Bauweise zur Unterbringung von Beschäftigten der Sprengstoff- und Munitionsfabriken der Deutschen Sprengchemie GmbH (DSC) und der Dynamit Actien-Gesellschaft (DAG) im Staatsforst von Wolfratshausen in Oberbayern.
Bei den Beschäftigten handelte es sich um Zwangsarbeiter, Angehörige des Reichsarbeitsdienstes des sogenannten Dritten Reichs sowie um zivile Angestellte (vorwiegend in der Verwaltung). Neben dem Lager Föhrenwald existierten noch die Lager Buchberg auf der heute sogenannten Böhmwiese gegenüber dem Rathaus von Geretsried sowie Stein (heute Stadtteil von Geretsried).
Aus dem Lager Föhrenwald entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Auffanglager für so genannte Displaced Persons (DP), die der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik entkommen waren. Daher wird das Lager Föhrenwald in der Literatur auch als DP-Lager bezeichnet.
Unmittelbar nach dem Kriegsende in Bayern wurde das Lager von der amerikanischen Armee zur Unterbringung von befreiten Zwangsarbeitern verwendet. Auch einige Überlebende des Todesmarsches der Gefangenen des Konzentrationslagers Dachau wurden nach ihrer Befreiung Anfang Mai 1945 im Lager Föhrenwald untergebracht.
Mit der Zeit kamen immer mehr jüdische Überlebende des Holocaust nach Föhrenwald, so dass das Lager im September 1945 zum Jewish Displaced Person Center erklärt wurde.
Quelle: wikipedia
Im Haus Nr. 18 in der früheren Floridastraße wohnten Eisik und Perla Lachmann mit ihrem Sohn Samuel, dem ersten Erzähler in »Diamond District«
Blick entlag der ehemaligen Floridastraße
»Displaced Persons«, das waren Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Konzentrationslager, die repatriiert werden (also in ihre Heimatländer zurückkehren) oder aber in andere Länder (Israel, USA, Canada, Australien, Großbritannien) auswandern wollten. Beides gestaltete sich alles andere als einfach.
Die vielen ursprünglich in Polen ansässigen Juden beispielsweise waren in Polen weder willkommen, noch hätten sie dort Wohnung und Lebensunterhalt gefunden. Abgesehen von den Zerstörungen waren sie enteignet worden. Zwar gab es Pläne für ein »jüdisches Siedlungsgebiet« in Niederschlesien. Spätestens jedoch nach dem Progrom von Kielce im Jahr 1946 (!), bei dem mindestens 42 Holocaustüberlebende dem polnischen Mob zum Opfer fielen (80 weitere wurden z. T. schwer verletzt), war den meisten polnischen Juden klar, dass es in Polen keine Zukunft für sie geben würde. Deutschland kam selbstredend für so gut wie niemanden in Betracht. Also warteten die Überlebenden auf Ausreisevisa.
Die potentiellen Einwanderungsländer hatten nach dem Krieg ihre Quoten für Juden nicht etwa erhöht, die Gefahr für Leib und Leben war ja vorüber, und man hatte genug mit den Kriegsfolgen zu tun. Einwandern durften nur gesunde, arbeitsfähige Überlebende, die meist auch noch bereits im jeweiligen Einwanderungsland lebende Bürgen vorweisen mussten.
Auch die Einwanderung nach Palästina war extrem beschränkt, da die Briten in ihrem damaligen Mandatsgebiet Komplikationen mit der arabischen Bevölkerung befürchteten, wenn sie zu vielen Juden die Einwanderung gestatteten.
Die Überlebenden befanden sich also in einem Land, dass sie hassten, das auch ihnen nach wie vor mit Hass oder doch zumindest extremem Misstrauen begegnete und in das sie also nicht gehörten. Sie waren »displaced«. In die alte Heimat konnten und wollten sie nicht zurück, und die Länder, in denen sie eine neue Heimat zu finden hofften, verwehrten ihnen die Einwanderung oder ließen sie sehr lange auf Einreisevisa warten. So blieben die Überlebenden der Lager in den Lagern. Häufig – wie etwa in Bergen Belsen – waren sie lediglich in einem anderen Teil des KZ untergebracht, aus dem sie doch eigentlich befreit worden waren.
Was kaum jemand heute weiß: Föhrenwald wurde als letztes DP Camp erst 1956 offiziell geschlossen, und die letzten Überlebendenfamilien verließen die Siedlung gar erst 1957.
Im linken Teil dieses Gebäudes in der zentralen ehemaligen Auerbachstraße war das Cheder untergebracht, in dem Kinder ab 4 Jahren Hebräisch- und Religionsunterricht bekamen
Blick entlag der ehemaligen Auerbachstraße
Das Schulhaus gehört heute zum Gymnasium & Kolleg »Sankt Matthias«
Viele der sogenannten »alteingesessenen Münchner Juden« sind keineswegs »alte Münchner«, sondern stammen aus Familien, die aus verschiedenen Gründen bis zum Schluss in Föhrenwald lebten – weil sie keine Visa bekamen. Sie lebten erst neben, später unter den »Mördern« (eine andere Bezeichnung gab es für die Deutschen nicht), weil ihnen nichts anderes übrig blieb.
Aus einer solchen Familie stammt Samuel Lachmann, der Erzähler des ersten Teils von »Diamond District«. Sein Vater Eisik Lachmann hatte in der Shoah seine erste Frau und zwei Kleinkinder verloren. Von seinem früheren Leben und der Zeit im Ghetto und den Lagern erzählte er niemandem. Vergangenheit, das war für Samuel Lachmann nie etwas anderes als ein undurchdringlich finsteres Loch. Seine Mutter Perla Lachmann hielt es nicht anders: Nach vorn schauen, leben – und die Vergangenheit vergessen. Sie starb 1965. Erst danach gelingt dem Sohn Samuel Lachmann der Absprung, er verlässt München und geht nach Antwerpen, um Diamantär zu werden.
Föhrenwald wird in »Diamond District« nur am Rande erwähnt. Für mich ergibt sich so aber die Möglichkeit, einiges über Föhrenwald und die Lage der Displaced Persons in Deutschland zwischen 1945 und 1957 zu erzählen, Dinge, die im öffentlichen Bewusstsein heute kaum noch präsent sind.
Am 24. Juli 2010 um 17:56 Uhr
Lieber Herr Stein,
wie ich mich jetzt schon auf Ihr nächstes Buch freue!
Bis dahin werde ich Sie weiterhin hier besuchen…
Herzliche Grüße
Bibliophilin
Am 23. August 2016 um 13:58 Uhr
Thank you for the article. My family and I were at the Lager Foehrenwald having come from our home near Lager Buchberg. After the Americans released the inmates of Lager Buchberg, we had to flee from our home to seek protection from the Americans at Lager Foehrenwald. Eventually, we made our way to Wolfratshausen to renew our lives there.
Am 20. Oktober 2016 um 00:23 Uhr
Ich empfehle hierzu das tolle Hörspiel der Münchner Künstlerin und Musikerin Michaela Melian über Föhrenwald, produziert für den Bayerischen Rundfunk und online zu finden.