Die Sache mit dem Brot

23. April 2010

Challah

••• Orthodoxie macht Spaß – naja, kann Spaß machen. Die Herzdame schickt mir gerade einen Artikel von einem frummen Blog: »The Challah Rant«.

Es geht um »Hamotzi«, das ist der Segen über das Brot (Challah) und das Anschneiden desselben, womit jede Festmahlzeit – etwa am Schabbes – offiziell eröffnet wird. Für die Uneingeweihten muss man die Details erklären, die zur Verärgerung der Gäste beitragen können.

Vor dem Genuss von Brot muss man sich die Hände waschen, nicht einfach so, sondern durch Übergießen aus einem Gefäß und mit dem dazugehörigen Segensspruch. Zwischen diesem Segensspruch nach dem Händewaschen und dem ersten Bissen Brot darf man nicht sprechen. Tut man es doch: Gehe zurück auf »Los« (Händewaschen). Bevor nun alle ihr Brot essen können und also vom Schweigen erlöst sind, muss das Brot geschnitten werden. Dafür gibt es spezielle Bretter und Messer und – eben – Schneideprozeduren. Einige ritzen das Brot vor dem Segensspruch ein, um an die Zerstörung des Tempels zu erinnern und damit an den Fakt, dass nichts mehr unversehrt ist. Die einen schneiden Scheiben, die anderen kleine Stücke, die echten Künstler 613-zackige Sterne … Dann streut man noch Salz über die Stücken. Das kann dauern. Besonders, wenn das Salz nicht aufzufinden ist.

Die meisten Festmahlzeiten beginnen mit dem Kiddusch, einem Segen über den Wein. In aller Welt beginnt das Händewaschen/Schweigen/Brot-Ritual danach. Das heißt, man muss erst mal alle an den Tisch und ruhig bekommen haben, um den Kiddusch zu absolvieren, bei dem Schweigen auch deutlich bevorzugt ist, und dann springen alle auf, plappern raus, was sie in den letzten 70 Sekunden nicht sagen durften (und zum Aussprechen Stunden in Anspruch nehmen kann!), und bevor schließlich alle gewaschen und wieder ruhig am Tisch sitzen, kann es gut sein, dass Schabbes bereits vorbei ist. Gegessen hat man dann allerdings noch nicht.

Jecke, also deutscher Jude zu sein, hat ja nicht besonders viele Vorteile, aber immerhin einen: Jeckes waschen vor dem Kiddusch und schneiden das Brot unmittelbar im Anschluss an. Das spart eine Schikane. Aber auch unsere Kinder kicken sich gelegentlich zwischen Wein und Brot unterm Tisch, schneiden Grimassen oder unternehmen allerlei andere Dinge, für die man sie in diesem Augenblick nur schimpfen könnte, wenn man bereit wäre, die ganze Zeremonie noch einmal von vorn … Und wer würde sich das schon antun?!

23 Reaktionen zu “Die Sache mit dem Brot”

  1. mediokra

    Danke – das hat mir ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert und mein Bild von der strengen und (in meiner Vorstellung etwas freudlosen) Orthodoxie ins Wanken gebracht.

    Jecke hat jetzt aber nichts mit dem kölschen Jeck zu tun?

  2. Benjamin Stein

    Jecke hat jetzt aber nichts mit dem kölschen Jeck zu tun?

    Nein, hat es nicht. Vielmehr mit der Jacke, also dem Jackett oder Sakko, das deutsche Juden (nebst Krawatte/Fliege und Weste!) auch im dafür eigentlich zu heißen Klima Israels zu tragen pfleg(t)en. Einige schreiben daher auch »Jäcke«.

  3. ksklein

    Übrigens mag ich, wie die Autorin, groooooße dicke warme duftende Scheiben Challah – geschnitten oder gerissen ist egal. Und nicht kleinstzerstückelte Hefebrösel schneeweißbedeckt mit Salz. (Möchte jemand mal ein Video sehen, mit welcher Freude der turmsegler das Brot mit dem Messer bearbeitet? Texas Chainsaw Massaker sag ich da nur. Und damit man das Malheur nicht mehr sehen kann, begraben die Kinder mit größter Freude alles unter Bergen Salz.)

    Kann man Euch 3 da noch umerziehen? Oder ein Schabbes pro Methode?

  4. Benjamin Stein

    Das ist ja schamlos gelogen! Du bist doch auch der Anti-Carb-Fraktion beigetreten und nimmst nur noch jeweils einen Krümel. Das Schnitzen dieses Krümels dauert eben!

    BTW: Ich fand das übrigens einen grandiosen 1. Satz:

    I grew up with the full slice.

    Geht nur im Englischen. Grandios.

  5. ksklein

    Einen Krümmel nehme ich nur von den gekauften Challot. Nicht von den selbstgemachten – wie heute.

    Schauen wir mal, ob Du heute für mich eine ganze Scheibe mit einem Hauch Salz hinbekommst. :)

  6. Benjamin Stein

    Schauen wir mal, ob Du heute für mich eine ganze Scheibe mit einem Hauch Salz hinbekommst.

    Aber selbstverständlich. Es wird mir ein Vergnügen sein.

  7. ksklein

    :) und wer verhindert die salzberge?

  8. Benjamin Stein

    Das sollten wir vielleicht mit den Kindern vor dem Händewaschen klären.

  9. La Tortuga

    Ich musste etwa 3x lesen, bis ich mir den ganzen Vorgang mit Variationen deutlich vorstellen konnte. Bei jedem Mal musste ich mehr lachen, und was ich jetzt vor Augen habe: einen stilvollen Schwarzweissfilm, der immer wieder „zurück auf los“ geht, ganz in der Tradition von „Dinner for One“. … Wenn Ihr das mal in Angriff nehmen könntet. :-) Ich bin sicher, Ihr würdet auch über Jahre oder Jahrzehnte hinweg alljährlich gesendet, so wie der tote Tiger an Silvester.

  10. ksklein

    :) hehehe… wie gut, dass wir an Schabbes und an Feiertagen nicht Filmen können.

    @Tortuga: Du kannst Dir bestimmt vorstellen, welche Freude die Kinder haben, wenn Benjamin mal nach dem Händewaschen spricht und ich ihn wieder ins Bad schicke. ;)

  11. Jens-Christian Fischer

    Ich würde das schon Filmen, wenn ihr das nicht dürft :)

    „Lehrreiches aus dem Hause Klein“

  12. ksklein

    @jcfischer: Bin ich froh, dass das auch nicht geht. Und sag jetzt nicht, wir könnten auch unter der Woche drehen. ;)

  13. ksklein

    Und das Du im Hause KLEIN sagst gefällt mir. ;)

  14. Jens-Christian Fischer

    @ksklein: Sind versteckte Kameras auch verboten? :)

  15. ksklein

    Argh…. Wehe! Ich glaub, ich lass Dich nicht mehr zu uns rein.

  16. La Tortuga

    Aber das muss doch IRGENDWIE verfilmbar sein! Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass das Ritual weltweit in keinem einzigen Dokumentar- oder Spielfilm vorkommt. (Oder ist das der Grund, dass ich es noch nie gesehen habe?).

    Ach, das könnte man so schön auf die Spitze treiben. Händewaschen. – „Papa, mir ist so warm!“ – Schschsch! Zurück auf los. Händewaschen. – „Papa, das Haus brennt!“ … etc.

    Wie ist denn das mit dem Filmen? Könnte man, solang man es nicht unter Arbeit verbucht, oder hat es mit dem Filmen etwas anderes auf sich? Wo zieht man bei Arbeit überhaupt die Grenze? Angenommen, Benjamin liest ein Fachbuch. Einerseits zur reinen Freude, weil es ihn interessiert. Andererseits, weil er es zur Romanrecherche braucht. … Was ist es dann? Lieber nicht weiterdenken, sonst endet alles wieder bei der Definition der Arbeit („Arbeit ist, wenn es keinen Spass macht“).

  17. ksklein

    Ich zitiere den Turmsegler:

    Zu den interessanten Kategorien zählt die des „letzten Hammerschlags“, symbolisch gesprochen für eine Tätigkeit, die einen Gegenstand oder eine Sache letzendlich brauchbar macht für ihren Zweck: das Aufziehen einer mechanischen Uhr beispielsweise, die stehengeblieben ist, oder auch das Schliessen eines elektrischen Stromkreises, wodurch die Glühlampe zu leuchten beginnt oder eine Türklingel schellt. (Siehe Fußnote)

    Aber es gibt für vieles einen „Ausweg“. Wir sitzen am Schabbes nicht im Dunkeln weil wir keine Lichter anschalten dürfen und haben auch unser warmes Festmahl, auch wenn wir nicht kochen dürfen.

  18. La Tortuga

    Dass es um Potenzen komplexer ist als „einfach“ „keine Arbeit“ (das wäre ja schon schwierig genug), habe ich gehofft und gefürchtet. Müsste man nicht, um sich jederzeit sicher zu sein, andauernd den Rat eines Geistlichen einholen? Ich nehme an, dass Nichtwissen wie in der Juristerei keine Rechtfertigung ist, oder? Das Praktische an der Komplexität ist natürlich, dass sich damit auch die Gesetzeslücken vermannigfachen.

    Wie macht Ihr es? Die Lichter am Vortag anknipsen und brennen lassen? Koscherer Pizzakurier (aber der darf doch dann am Schabbes auch nicht…)?

    Mich interessieren diese kreativen „Umgehungen“ eines strengen Gesetzes, das man einzuhalten sich selbst auferlegt hat – ich stelle mir vor, dass das sowohl Bewusstsein (das Einhalten) als auch Kreativität (das Umgehen) sehr stärkt. Mir scheint immer wieder (oder bilde ich mir das nur ein?), dass Juden und Muslime darin sehr viel humorvoller und phantasiebegabter sind als Christen. Ein fröhlicher Katholik, der Sex vor der Ehe praktiziert, nimmt sich die Furcht vor der Hölle etwa damit: „Was der Herrgott selbst eingerichtet hat, kann er doch nicht für schlecht befinden.“ – Das ist herzig. Und plump, oder. Das schlechte Gewissen schwingt mit und Gott wird der Humor abgesprochen.

  19. ksklein

    Bei uns bleibt an Schabbes einfach das Licht im Wohn-/Esszimmer an und in der Küche und Bad haben wir eine kleine Lampe brennen. Alle anderen Zimmer brauchen keins. Üblicherweise haben aber die meisten Leute hier programmierte Lichter. Da gehen halt Nachts die Lichter aus und Morgens wieder an.

    Kochen darf man nicht, also kocht man alles vor. Was teilweise sehr, sehr viel ist – vor allem wenn man Gäste hat und sich manchmal direkt an Schabbes noch Feiertage anschliessen. Dann hat man eine Schabbesplatte, die auf dem Herd liegt oder selbst einen Stromstecker hat. Da wird dann an einer Stelle höher erhitz und die anderen Bereiche haben verschiedene Temperaturen. Das fertig gekochte Essen muss vor Schabbes auf der Platte stehen. (Es ist eine Kunst für sich, auf welcher Position man das Essen hinstellt, damit es nicht verbrennt aber andererseits auch nicht austrocknet oder gar bei warmen Wetter schlecht wird.) Dazu gibt es noch diverse Millionen Regeln was man darf und was nicht. ZUm Beispiel darf man das Essen auf der Platte nicht rühren. Das würde als Kochen gelten. Oder man darf das Essen nicht herunter nehmen und später wieder drauf stellen (auch da gibt es Sonderregelungen), Für Feiertage gibt es Sonderregelungen. Da darf man unter bestimmten Umständen Kochen. Aber das ist mir zu kompliziert. Ich schau meist, dass ich alles vorher schaffe und die Feiertage dann „stress- und kochfrei“ sind.

    Zum trinken haben wir einen grooooßen Samowar stehen mit heißem Wasser und Tee-Essenz. Eigentlich haben wir alles was wir brauchen für den Tag.

  20. ksklein

    Das einzige was mir abgeht ist das Zeichnen. Schabbes wäre ein Tag wo man Ruhe und Zeit hat dafür. Das habe ich sonst unter der Woche nicht. Da würde ich das wirklich sehr gern machen. Aber wir nutzen die Zeit besonders um zu lesen und Schlaf nachzuholen.

  21. La Tortuga

    Was für eine logistische Meisterleistung, merci für die ausführliche Schilderung. Huuuh … ich würde wohl auf Salat und kalte Platte umstellen. Wobei selbst das in meiner Küche gar nicht machbar wäre, viel zuwenig Ablagefläche. :-)

    Zeichnen ist auch verboten? Wenn Du es von der Arbeit trennen würdest, z.B. indem Du diese Bilder privat behältst und daran nichts verdienst? Oder geht das nicht, weil es Dein Beruf ist, so oder so?

    Oh, und natürlich: schönen Schabbes!

  22. ksklein

    Danke. :)

    Bezüglich dem Essen: Es soll immer ein Festmahl geben, deshalb sollte das Essen auch warm sein.

    Und „etwas Neues erschaffen“ gilt als Arbeit. Damit ist auch Zeichnen verboten.

  23. Yves

    Hmm, „etwas Neues erschaffen“ gilt als Arbeit.

    Wenn man nun aber an einer schon begonnen Zeichnung weiterar…, öhm, -zeichnet?

    Tja. Das „weiterarbeiten“, das mir so eilfertig von der Zunge sprang, beantwortet meine Frage eigentlich schon, ob das ein allzu kreativer „Ausweg“ wäre. Vor allem, da die Zeichnung ja dann gleichzeitig nie beendet werden dürfte, weil man sonst sofort wieder beim „letzten Hammerschlag“ wäre …

    Ich kann „La Tortuga“ nur beipflichten, dass das Christentum in diesen Dingen nicht sehr gewitzt und manchmal erschreckend humorlos ist (zumindest das Christentum, das ich kenne). Wobei mir das „reformierte“ Christentum noch trockener vorkommt (vielleicht weil ich es kenne). Die katholische Beichte ist ja ein in Ansätzen durchaus kreativer Umgang mit den „Regeln“ (wenn auch ausschliesslich mit deren Übertretung). Bei den Reformierten … aber das würde jetzt zu weit führen. Ich lasse mich wieder einmal zu Satzfluten hinreissen …

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