es gehe dir gut. hört man.
kaum zu glauben.
die sonne scheint.
kälter kann es nicht werden.
Michael Lentz, aus: »Offene Unruh«
100 Liebesgedichte
© S. Fischer Verlag 2010
••• Das launige Gespräch über Liebe und Liebesgedichte zwischen Raoul Schrott und Michael Lentz bei der Aufzeichnung zu »Literatur im Foyer« letzten Dienstag war eine sehr schöne und pointierte Performance dieser beiden Routiniers. Aber hat es wirklich dazu eingeladen, Michael Lentz‘ 100 Liebesgedichte zu lesen, die am 11. März unter dem Titel »Offene Unruh« bei S. Fischer erscheinen? Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe Kopfbetontes, Distanziertes, sogar Unterkühltes erwartet. Dank eines sehr ansprechenden Features auf FAZ Online konnte ich mich nun überzeugen, dass Lentz etwas ganz anderes liefert. Als Countdown zum Erscheinen präsentiert die FAZ Michael Lentz und seinen neuen Gedichtband mit täglichen Videolesungen – ein Gedicht pro Tag. Und diese Gedichte machen nicht nur neugierig – sie packen, mich jedenfalls und nicht nur mich.
In ihrer Besprechung des Bandes (»Du musst die Liebe ändern«) schreibt Felicitas von Lovenberg:
Ob Beziehungen enden oder nie stattgefunden haben, Liebende versagen, Worte aneinander vorbeirasen, ist nebensächlich – hier wird nichts nacherzählt oder gar lyrisch verarbeitet. Die Gedanken oder Erfahrungen, die es angestoßen haben, sind für den Leser nebensächlich, was zählt, ist allein das Gedicht. Das Gefühl weicht schließlich nicht, nur weil man es gerade nicht empfindet, im Gegenteil: Es bleibt deutlich. […] »Offene Unruh«, das schon im Titel auf den Werkstattcharakter aller romantischen Liebe anspielt, ist das Werk eines Zweiflers und Skeptikers.
Zweifel und Skepsis sind wesentliche Zutaten für Literatur und – da Lyrik ja alles steigert – insbesondere für Gedichte. Wenn Lentz »kühl« agiert, dann höchstens in der Wahl der Mittel. Unprätentiös geht es zu, knapp, deutlich, oft überraschend. Man werfe nur einen Blick auf das oben zitierte Gedicht: Lentz‘ Sprache darin ist einfach. Da wird nichts poetisch hingetupft. Vier geradezu entkleidete Zeilen, Schlag auf Schlag. Was packt mich daran? Dass die Dichtung hier zwischen den Zeilen aufleuchtet, weil das Ausgesprochene so viel nicht Ausgesprochenes umfasst, indem es Imagination induziert, Erinnerung an die etlichen Wiederholungen dieser Situation des Wiederbegegnens nach einer Trennung, wie wohl jeder sie irgendwann einmal erlebt hat. Lentz spielt den Film nicht ab, sondern gibt lediglich das »Thema« vor, und es gelingt ihm, im Leser dessen ganz persönliche Variante des Films ablaufen zu lassen. Chapeau!
Und übrigens … hat mich v. Lovenbergs Besprechung der Lentz-Gedichte schlagartig mit dem Feuilleton wieder versöhnt, dessen steilen Thesen ich in den letzten Wochen ein wenig zu oft kopfschüttelnd gegenüberstand (nicht in eigener Sache, wohlgemerkt). Wenn Gedichte wie diese heute noch so warmherzig aufgenommen und so treffend wie selbst poetisch charakterisiert werden wie in dieser Besprechung, darf man wieder hoffen. Eine schöne Wendung des Blattes. Danke.
Am 6. März 2010 um 14:51 Uhr
Danke dafür! Ich wäre daran vorbeigeeilt, nun werde ich verweilen. Ein Gegenvorschlag: Odysseas Elytis: Oxópetra. Einmal bei Suhrkamp, mein Lieblingsgedicht „Grüninger Elegie“ in einer etwas variierten (für mich gelungeneren) Übersetzung auch noch einmal in den „Akzenten“ 6/1998. Scanne ich dir nächste Woche, ist sonst kaum korrekt zu übermitteln.