Herr Grau zerfällt zu Asche

15. Februar 2010

»Graupausen« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

… translation always involves hindrances …
Adel Salem Bahameed
in: »Arabic-English Intercultural Translation«

1
Seit Herr Grau den Entschluss gefasst hat, die Übersetzung seines Ichs voranzutreiben, ertappt er sich vermehrt dabei, wie er sich wünscht, es hätte ihn nicht nach Bruanien, sondern in ein anderes Land verschlagen. Zum wiederholten Mal ist es ihm jetzt schon passiert, dass er eine seiner Eigenschaften in die Landessprache übertragen wollte und sich plötzlich um Aspekte erweitert sah, in denen er sich nicht wiedererkannte.

2
Die Bruanier sind nicht das fröhliche, ausgelassene, gastfreundliche Volk, für das alle Welt sie hält. Gegenüber Fremden sind sie oft misstrauisch, abweisend, manchmal geradezu feindselig. Herr Grau weiß ein Lied davon zu singen. Aber hinter dem bruanischen Argwohn versteckt sich doch eine Art Neugier, die bisweilen durchbricht. Als Herr Grau eines hartnäckigen Nackenleidens wegen zum Arzt muss, meint dessen Assistentin, während sie mit ernster Miene seine Personalien in die frisch angelegte Krankenakte einträgt: Ausländer hätten doch diese merkwürdige Angewohnheit, Namen nicht nur ihres Klanges wegen zu tragen, sondern weil sie mit ihm etwas bedeuten wollten. Ob sie fragen dürfe, was es mit Herrn Graus Namen für eine Bewandtnis habe?

3
Bruanier lieben das Zweideutige. Hinter allem vermuten sie einen zweiten Sinn und, um an dieses Verborgene heranzukommen, verdrehen sie einem das Wort im Mund, entfernen oder fügen Buchstaben hinzu, oder nehmen es und verwenden es in einem unzulässigen, weil dafür nicht vorgesehenen Kontext. Herr Grau hätte daran denken müssen, so gut beherrscht er das Bruanesische ja bereits, er hätte es wissen müssen, und schlagartig wird er daran erinnert, als die Assistentin, kaum hat er ihr die gewünschte Übersetzung geliefert, die Augen niederschlägt. Sogar etwas Blut steigt ihr ins Gesicht, als sie, schüchtern zwar aber doch so laut, dass man es selbst im Wartezimmer nebenan noch hören kann, fragt: »Brauchen Sie einen Aschenbecher?«

4
Herr Grau fühlt sich auf den Arm genommen, in seiner Fremdheit bloßgestellt, der Lächerlichkeit preisgegeben. Blauäugig ist er der Assistentin in die Falle gegangen, als hätte er nicht gewusst, dass sein Name im Bruanesischen nicht nur einen Farbton bezeichnet, sondern dass man ihn sich auch als Zeichen der Buße aufs Haupt streut! Herr Grau fühlt sich ertappt, hintergangen, verraten. Gleichzeitig überfällt ihn ein Gefühl von Unterlegenheit, die er seiner mangelnden Vertrautheit mit der bruanesischen Sprache zuschreibt. Vollkommen hilflos kommt er sich vor angesichts der Grobheiten einer Sprache, in die er sich doch hat einfügen wollen. So dankt man ihm also seinen guten Willen! Wie hat er nur so naiv sein können! Wie hat er bloß auch nur einen unbedarften Augenblick lang annehmen können, dass seine Gutgläubigkeit nicht missbraucht würde! Asche? Ja, zum Teufel, denkt er bitter. Asche auf mein Haupt! Ich habe es nicht anders verdient.

5
Dass Wortspiele und selbst Kalauer die innersten Beweggründe einer Sprache offenzulegen imstande sind und dass sie nicht nur Böses im Schilde führen, sondern manchmal einfach nur spielen wollen und bisweilen sogar die heiteren Beweggründe eines Herzens offenbaren – auf diesen Gedanken kommt Herr Grau nicht. Dazu hätte er genauer hinhören und den Gestank erkalteten Zigarettenrauchs, den das Bild des Aschenbechers in ihm aufsteigen ließ, für einen kurzen Moment wegblasen müssen.

6
Als Herr Grau unter dem Gelächter der wartenden Patienten und mit hochrotem Kopf und steifem Nacken das Behandlungszimmer betritt, meint der Arzt mit einem Schmunzeln: Wie ich höre, hat meine Assistentin Gefallen an Ihnen gefunden.

Eine Reaktion zu “Herr Grau zerfällt zu Asche”

  1. Herr Grau muss sich bedanken « Turmsegler

    […] Kaum eine Stunde ist es her, dass die Assistentin seines Arztes ihm das kleine Paket überreicht hat. Gerade war er wieder zu Atem gekommen und hatte das […]

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