Arbeit macht frei

21. Dezember 2009

Arbeit macht frei - Losung über dem Eingangstor des KZ Auschwitz
Arbeit macht frei – Losung über dem Eingangstor des KZ Auschwitz

••• Nicht nur über dem Eingangstor des KZ Auschwitz, sondern auch auf denen der KZ in Sachsenhausen, Groß-Rosen und Theresienstadt prangte die höhnische Losung »Arbeit macht frei«. Man weiß nicht recht, ob man es für eine Posse oder eine politisch motivierte Tat halten soll, was in den letzten Tagen aus Polen berichtet wurde. Eben jenes Schild über dem Auschwitz-Tor wurde entwendet. Gestern fand man es wieder, zerstört. Fünf Verdächtige wurden unterdessen verhaftet. Keiner von ihnen sei Neonazi oder Sympathisant der rechten Szene. Es sehe eher danach aus, als hätten die Verdächtigen das Diebesgut zu Geld machen wollen. Reliquienhandel gewissermaßen.

Der Ausspruch, der auf den Lagerkommandanten von Dachau, Theodor Eicke, zurückgehen soll, hat auch eine literarische Dimension. Jura Soyfer, der für einige Monate in Dachau inhaftiert war, verfasste während dieser Zeit das »Dachau-Lied«, das den Häftlingsalltag beschreibt und in dessen Refrain der Slogan ironisiert mehrfach wiederkehrt.

Herbert Zipper, ein Mithäftling Soyfers, vertonte das Lied. Instrumentiert war es ursprünglich für Chor und zwei Gitarren. Text und Melodie mussten auswendig gelernt werden, da Schreibmaterial nicht zur Verfügung stand.

Zipper berichtet über die Entstehungsgeschichte des Liedes:

Im August 1938 im Konzentrationslager Dachau: Jura Soyfer und ich mußten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementsäcken beladen, die außerhalb des Lagers gestapelt waren. Anschließend mußten wir diesen Wagen ins Lager ziehen und wieder entladen. Deshalb sind wir täglich bis zu dreißigmal durch das Eingangstor des Lagers durchgegangen. Eines Tages – es war, glaube ich, der dritte oder vierte Tag – sagte ich zu Jura, der an derselben Stange wie ich gezogen hat: ‚Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor -Arbeit macht frei – ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bißchen Mut geben.‘ Und Jura antwortete: ,Ja, ich glaube, ich habe sogar schon daran gearbeitet.‘

Soyfer starb 1939 im KZ Buchenwald. Zipper überlebte.

Dachau-Lied

Stacheldraht, mit Tod geladen,
ist um uns’re Welt gespannt.
D’rauf ein Himmel ohne Gnaden
sendet Frost und Sonnenbrand.
Fern von uns sind alle Freuden,
fern die Heimat, fern die Frau’n,
wenn wir stumm zur Arbeit schreiten,
Tausende im Morgengrau’n.

Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt
und wurden stahlhart dabei.
Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad.
Denn Arbeit, Arbeit macht frei.

Vor der Mündung der Gewehre
leben wir bei Tag und Nacht.
Leben wird uns hier zu Lehre,
schwerer als wir’s je gedacht.
Keiner mehr zählt Tag‘ und Wochen,
mancher schon die Jahre nicht.
Und so viele sind zerbrochen
und verloren ihr Gesicht.

Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt …

Schlepp den Stein und zieh den Wagen,
keine Last sei dir zu schwer.
Der du warst in fernen Tagen,
bist du heut‘ schon längst nicht mehr.
Stich den Spaten in die Erde,
grab dein Mitleid tief hinein,
und im eig’nen Schweiße werde
selber du zu Stahl und Stein.

Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt …

Einst wird die Sirene künden;
auf zum letzten Zählappell.
Draußen dann, wo wir uns finden
bist du, Kamerad zur Stell‘.
Hell wird uns die Freiheit lachen,
vorwärts geht’s mit frischem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen,
diese Arbeit, sie wird gut.

Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt
und wurden stahlhart dabei.
Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad.
Denn Arbeit, Arbeit macht frei.

Jura Soyfer (1912-1939)

5 Reaktionen zu “Arbeit macht frei”

  1. hf

    … Doch für uns gibt es kein Klagen,
    ewig kann’s nicht Winter sein …

    1933, KZ Börgermoor

    Es gibt den uralten menschlichen Brauch, nachts Lichter anzuzünden. Das Dachau- und das „Moorsoldaten“-Lied sind zwei Kerzen, die für viele Menschen gebrannt haben. Welch ein unglaublicher Lohn!

    In diesem Schein wirkt der „Reliquien-Klau“ des KZ-Slogans fast wie ein bemitleidenswerter Diebstahl von armseligen Straßenvagabunden.

    „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, dämpft mancher die aufschäumende Empörung. Und das ist auch die gute Nachricht. Denn zumindest an der Unwissenheit können wir (ich und Du) leicht etwas ändern. Im Kleinen und manchmal sogar im Großen.

    Und im besten Fall hinterlassen wir eine Kerze. Jedenfalls für eine Weile.

  2. Herr h

    Einer war

    Einer war
    Der blies den Schofar –
    Warf nach hinten das Haupt,
    Wie die Rehe tun, wie die Hirsche
    Bevor sie trinken an der Quelle.
    Bläst:
    Tekia
    Ausfährt der Tod im Seufzer –
    Schewarim
    Das Samenkorn fällt –
    Terua
    Die Luft erzählt von einem Licht!
    Die Erde kreist und die Gestirne kreisen
    Im Schofar,
    Den Einer bläst –
    Und um den Schofar brennt der Tempel –
    Und Einer bläst –
    Und um den Schofar stürzt der Tempel –
    Und Einer bläst –
    Und um den Schofar ruht die Asche –
    Und Einer bläst –

    (Nelly Sachs)

  3. Auschwitz – Neukölln «

    […] Auschwitz – Neukölln ARBEIT MACHT FREI […]

  4. nacht und nebel | neuköllner botschaft

    […] liegt Schnee in Auschwitz. Die Dächer der Baracken sind weiß, aber nicht die Lagerstraßen. Immer noch sind es zu viele […]

  5. Heimat der Sachsen ist die Arbeit – Dr. Wolf Barth

    […] Refrain des Dachau-Liedes von Jura Soyfer (1912-1939)  ist auch die „Arbeit“ der Lagerinsassen […]

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