Plotpoints

19. November 2009

••• Am letzten Tag in Antwerpen und auf dem Heimweg nach München habe ich die Eingangsseqeuenz von »Diamond District« schreiben können, ein wichtiges Etappenziel. Vielleicht bin ich vom Film korrumpiert, aber ich teile die Auffassung, dass für einen Roman ebenso gilt, was bei einem Drehbuch gefordert ist: Nach zehn Minuten sollte der erste Plotpoint erreicht sein. Ich bin sogar der Meinung, dass dies bei einem Buch noch wichtiger ist als bei einem Film. Bevor ein Zuschauer das Kino verlässt, muss er schon sehr gelangweilt oder anderweitig verärgert sein. Ein Buch ist schnell aus der Hand gelegt, zumal in der Buchhandlung, wenn das nächste Buch, das man kaufen könnte, direkt daneben steht.

Auf den ersten »Metern« entscheidet sich, ob man den Leser gewonnen oder verloren hat. Man kann ihn natürlich auch später noch leicht verlieren. Aber diese Gefahr ist geringer. Hat sich jemand erst einmal auf einen Stoff, ein Setting, eine Atmosphäre eingelassen, »übersteht« er (oder sie natürlich) auch die eine oder andere Länge, größere Dramaturgiebögen. Am Anfang funktioniert so etwas eher nicht. Vielleicht bin ich davon auch nur deswegen so überzeugt, weil ich es sicher nicht bis zur zehnten Seite durchstehe, wenn mir bis dahin nicht deutlich geworden ist: Das ist interessiert mich, das will ich lesen.

Bei der »Leinwand«, wo es ja zwei solcher Einstiege gibt, sind es einmal 7 Seiten (Wechsler) und einmal 2 bzw. 5 Seiten (Zichroni, bei dem die besondere Fähigkeit des Erzählers gleich anfangs und darauf bis Seite 7 in den Grundkonflikt des Halbwüchsigen eingeführt wird).

Bei »Diamond District« wollte ich es nicht anders halten. Ich wollte aber mit einem Thema einsteigen, das für die meisten Leser vermutlich emotional eine Belastungsprobe darstellt: die Tahara, die Arbeit also der Heligen Bruderschaft. Die Tahara zu beschreiben, braucht ein wenig Raum, zumal ich nicht verschrecken, sondern die tiefe Bedeutung, ja Schönheit und Innigkeit des Rituals vermitteln möchte. Der Paukenschlag muss dann dennoch kommen. Und das alles auf maximal sieben Seiten…

Startschwierigkeiten hatte ich auch wegen der Sprache. Eigentlich müsste man zumindest den ersten Teil des Romans auf Jiddisch schreiben. Das Idiom ist einfach allgegenwärtig im jüdischen Antwerpen. Man hört sich ein, man fühlt sich ein. Die Begriffe, der Klang der Wörter, die Melodie (und Geschwindigkeit!) der Sätze lassen sich im Deutschen kaum einfangen. Es kommt mir hier, für diese Geschichte, untauglich vor, geradezu klinisch, kalt. Natürlich kann man kein kunstgewerbliches Pseudo-Idiom einführen. Das wäre lächerlich. Also bleibt nur der Versuch, die jiddische »Sprachtemperatur« irgendwie einzufangen. Auch keine leichte Sache.

2 Reaktionen zu “Plotpoints”

  1. Tamar

    Das klingt wirklich sehr interessant. Ich bin auch schon sehr gespannt auf die Leinwand…

  2. Jakob Eis « Turmsegler

    […] die Hilfe damals bin ich den Turmseglern noch immer dankbar. Vielleicht kann ich mich mit diesem Vorgeschmack auf »Diamond District« angemessen […]

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