Selbstende Organismen

12. Oktober 2009

••• Der Philosoph Thomas Metzinger beschäftigt sich in seinem Buch »Der Ego-Tunnel — Vom Mythos des Selbst zur Ethik des Bewusstseins« mit der nicht ganz unwesentlichen Frage, ob der homo sapiens überhaupt so etwas wie ein Selbst habe oder ob das, was wir dafür halten, nicht eine reine Vorspiegelung dynamischer Selbstorganisationsprozesse unseres Gehirns sein könnte.

Wir sind Ego-Maschinen, aber wir haben keine Selbste. […] Wir können den Ego-Tunnel nicht verlassen, weil es niemanden gibt, der ihn verlassen könnte. Das Ego und sein Tunnel sind repräsentationale Phänomene: Sie sind nur eine von vielen möglichen Weisen, in denen bewusste Wesen ein Modell der Wirklichkeit erzeugen können. Letztlich ist subjektives Erleben ein biologisches Datenformat, also eine hochgradig spezifische Weise, Information über die Welt darzustellen, eine innere Weise des Gegebenseins, und das Ego ist lediglich ein komplexes physikalisches Ereignis – ein Aktivierungsmuster in unserem zentralen Nervensystem.

Wenn wir – etwa aus weltanschaulichen oder psychologischen Gründen – dieser Tatsache nicht ins Auge sehen und unser traditionelles Verständnis davon, was ein »Selbst« ist, nicht aufgeben wollen, dann könnten wir versuchen, schwächere Versionen zu formulieren. Wir könnten sagen, dass das Selbst ein weitverteilter Vorgang im Gehirn ist – nämlich der Vorgang, durch den ein Ego-Tunnel erzeugt wird (seine natürliche »Bedingung der Möglichkeit«). Wir könnten sagen, dass sich doch einfach das System als Ganzes (die Ego-Maschine) oder der Organismus, der dieses vom Gehirn konstruierte bewusste Selbstmodell benutzt, als ein »Selbst« bezeichnen ließe. Dann wäre ein Selbst einfach ein selbstorganisierendes und selbsterhaltendes physikalisches System, das sich auf der Ebene der globalen Verfügbarkeit noch einmal für sich selbst darstellen kann. Das Selbst ist dann kein Ding, sondern ein Vorgang.

Mir scheint das anzuknüpfen an Maturana. In der Beschreibung ist es nicht wirklich überraschend. Auf die Schlussfolgerungen käme es an, philosophisch wie poetologisch.

Das Buch muss ich wohl lesen. Eine Leseprobe ist beim Perlentaucher zu finden.

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