Epilog

17. September 2009

Truman Capote & Autograph
Truman Capote & Autograph

Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.

Theresa von Avila (aus d. Gedächtnis nach T. Capote)

••• Am vorletzten Tag des Jahres kommt ein Epilog gerade recht, umso mehr, wenn darin von »Answered Prayers«, also erhörten Gebeten, und Tod die Rede ist.

Am Wochenende liegen die Bücher des Gerichts offen da: Wer wird leben, wer wird sterben? Und wenn ich dieses Jahr an den »großen weißen Tagen« meinen Kittel anziehe – Vorgeschmack auf die Tachrichim, die Grabkleider – wird das nach meinen Erfahrungen in Antwerpen noch einmal eine ganz andere Dimension haben als in den Jahren zuvor.

Mit dem Gebet ist es auch so eine Sache. Man muss vorsichtig sein. Man könnte erhört werden.

 

Dienstag, den 28. August 1984

Die Kameras fuhren auf vor dem Eingang zur Kapelle der Westwood-Village-Leichenhalle. Klavierauszüge aus House of Flowers erklangen. Die frühmorgendliche Feierstunde war würdig und bewegend.

Robert Blake, der Schauspieler des Perry Smith im Film In Cold Blood erzählte, wie er Truman zum ersten Mal begegnet sei, am Drehort in Kansas. »Er lehrte mich mehr als jeder andere über Schauspielerei«, sagte Blake. »Er nannte mich immer Bobby B. ‚Sei einfach du selbst, Bobby B. Lass es von innen kommen.’«

Blakes zärtlichste Erinnerung war dieses eine Mal, als Truman ihn aus Fire Island anrief, wo er ein Haus gemietet hatte. Dort tobte ein Hurrikan, sagte Blake, und im Hause lag eine Hündin in den Geburtswehen. »Truman wusste nicht, was er tun sollte, und ich redete während der ganzen Geburt auf ihn ein. Dann legte Truman den Hörer ab und verschwand. Als er wieder an die Leitung kam, meinte er, er verstecke sich in der Küche, weil die Hündin versucht habe, ihn zu beißen. Ich sagte ihm, es sei der natürliche Instinkt der Hündin, die Nabelschnur abzubeißen, und er müsse wieder hingehen und helfen. Da war ich nun, in Los Angeles, und sprach auf diesen wunderbaren verschreckten Schriftsteller ein, während ein Hurrikan an seinem Haus rüttelte. Aber er ging wieder hin und tat, was er tun musste.«

Armand Deutsch, stellvertretender Vorsitzender des President’s Commitee on the Arts and Humanities [Ausschuss für Kunst und Wissenschaften], und ein alter Freund Trumans sprach als nächster. Er erzählte von einer Party, die Bennett Cerf für Capote gab, nachdem sein erster Roman erschienen war. »Es war eine ganz großartige Angelegenheit, und der Butler trat ein und meldete, ein kleiner Junge stünde vor der Tür. Der kleine Junge war natürlich Truman. Er war begeistert von der Party, und alle waren hingerissen von ihm. Danach, sagte Bennett Cerf, hätte Truman nie mehr zu Hause gespeist.«

Alan Schwartz, Trumans Rechtsanwalt und Testamentsvollstrecker, berichtete von Trumans Witz und von seinen Bosheiten, ersterer seinen Freunden vorbehalten, letztere seinen Feinden. Weinend trug dann Joanne Carson den letzten Abschnitt aus A Christmas Memory vor, wie Truman sagte, sein vollkommenstes Werk.

Artie Shaw ergriff das Wort und sagte: »Truman starb an alledem, er starb am Leben, starb daran, ein volles Leben gelebt zu haben. Und doch, in den letzten Jahren schien es, als sei Truman bereit gewesen, sich von all dem zu lösen. Am Ende wird es nicht seine Berühmtheit sein, derer man gedenken wird, sondern sein Werk.« Und weiter sprach Shaw über das Wesen des Künstlers und dass Truman einer gewesen sei, »einer von den ganz seltenen. Aber lasst uns das Lachen nicht vergessen in dieser Zeit der Trauer, denn Truman hätte gewollt, dass wir lachen.«

Gebrechlichen Schrittes kam Christopher Isherwood als letzter vor. Er sprach nur wenige Worte … und dann lachte er. Und indem er lachte, fiel mir ein Wort von Isherwood ein, das er einmal dem Publikum gesagt hatte, das gekommen war, um seine Filme in jenem Kino in Hollywood anzusehen. Irgendjemand hatte gefragt, wie er sich fühle beim Älterwerden. »Käme das Alter zur Tür dort herein, man würde sich umdrehen und davonrennen«, bekannte er. »Aber es schleicht so freundlich heran.«

So hatte der Tod sich an Truman herangeschlichen.

Das Lied Don’t Like Goodbye wurde gesungen, während alle aufstanden, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Als ich vor dem geschlossenen Sarg stand, legte ich meine Hand auf das reichverzierte Holz und flüsterte: Good bye. Auf einmal schwebten in meinem Inneren Trumans letzte Worte. Es war seine Antwort an jene, die er, mitunter in so durchsichtiger Verkleidung, in den veröffentlichten Kapiteln von Answered Prayers porträtiert hatte.

»Ich begreife gar nicht, warum alle so verstört sind«, hatte er gesagt: »Was dachten sie wohl, wen sie bei sich hätten — einen Hofnarren? Sie hatten einen Schriftsteller vor sich!«

aus: »Ich bin schwul, ich bin süchtig, ich bin ein Genie«,
Ein intimes Gespräch zwischen
Truman Capote und Lawrence Grobel
Aus dem Englischen von Thomas Lindquist
© Diogenes Verlag 1986

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