Eine Erwiderung auf D. G. Myers‘ „In Memoriam Truman Capote“ (»» Read the English Version)
••• Nachdem D. G. Myers‘ Beitrag »In Memoriam Truman Capote« nun auch in deutscher Übersetzung hier veröffentlicht ist, will ich endlich zu einer Antwort ansetzen. Man mag Capote mehr oder weniger oder gar nicht schätzen, aber was Myers hier dem exzentrischen Truman post mortem antut, kann man nicht unwidersprochen lassen.
Mindestens vier Behauptungen in Myers Beitrag gehen mir gegen den Strich. Es beginnt mit der, Capotes Romane vor »Kaltblütig« seien einzig Collagen von Angelesenem. Man könne das wohl, warum würde es sonst erwähnt, schon daran erkennen, dass Capotes Debüt »Other Voices, Other Rooms« erschien, als der Autor gerade einmal 24 Jahre alt war. Darauf nur zwei Dinge: Wer meint, man könne mit 24 Jahren nur Angelesenes zu sagen haben, hat sicher keine komplexe, von unsicheren Bindungen und Verlassenheit geprägte Kindheit durchlebt; und darüber hinaus ist es noch nie ein valides Kriterium zur Beurteilung von Literatur gewesen, ob der Autor auch jede Einzelheit des von ihm Erzählten selbst erlebt und durchlitten hat.
Gleich im Anschluss behauptet Myers, Capotes Prosa sei so eindeutig manieristisch, dass es kaum der Erwähnung bedürfe. Ich wüsste gern, worauf sich dieses Urteil gründet. »Frühstück bei Tiffany« – das habe ich hier schon zu Protokoll gegeben – halte ich für einen makellosen Roman. Er mag nicht erhellen, um welches Zentrum die Welt kreist, aber handwerklich lasse ich nichts auf dieses Buch kommen. Manieristisch – das war Capote selbst, seine Prosa ist es nicht. Ganz allein stehe ich mit dieser Ansicht nicht. Es war immerhin Norman Mailer (der durchaus das eine oder andere schwer zu verdauende Erlebnis mit Capote hatte), der einräumte:
Truman Capote ist der perfekteste Schriftsteller meiner Generation. Ich hätte keine zwei Wörter in »Frühstück bei Tiffany« ändern wollen.
Ein derart heftiges Pauschalurteil, wie es uns Myers hier liefert, müsste schon im Detail begründet werden. Einfach nur scharfzüngig hingeworfen kann ich es nicht akzeptieren.
»Kaltblütig« schließlich scheint Myers in seiner Intention völlig zu verkennen. Er beklagt, wie wenig Raum Capote den Opfern einräumt. Das aber hat einen Grund: Sie sind nicht der Gegenstand von Capotes Interesse. Das kann man als Leser bedauern, aber es ist nicht die Schuld des Autors, wenn sein Erzählinteresse sich nicht mit den Erwartungen eines jeden Lesers deckt. Ja, Capote fühlt mit dem Mörder, vor allem mit einem von ihnen, und ich halte das für ein Verdienst dieses Buches. Das Manko sehe ich auch: Wie Robert Merle in »Der Tod ist mein Beruf« hätte er aus der Figur heraus erzählen können und wäre so vielleicht noch stärker gewesen. Capote immerhin gelingt, den Killer als Menschen zu zeigen. Und das ist er, bei aller Grausamkeit des Verbrechens, bei allem Nicht-Bedauern der Tat. Und weil er es ist, bleibt die Hinrichtung – wie jede Hinrichtung – ein kaltblütiger Mord. Dass er durch den Staat in einer zeremoniell zu nennenden Prozedur ausgeführt wird, ändert daran nichts. Es ist ein Verdienst dieses Romans, dass die Problematik der Todesstrafe gerade an diesem wenig Mitleid heischenden Fall thematisiert wird, das noch immer auf Rache ausgerichtete Strafsystem zumindest einiger US-Staaten. Dass Myers offenbar »Entmenschlichung« der Täter erwartet, wie es auch gängige Praxis beim Kriegstreiben ist, um den Fakt des Mordes zu bemänteln, zeigt nur, wie wichtig es war (und bleibt), dass Literatur uns auch solche Täter als Menschen vorführt und deren Hinrichtung als einen kaum auflösbaren ethischen Konflikt.
Wie steht es schließlich um die moralgeschwängerte Schlussfolgerung Myers? Capote hat es gewagt, den Begriff des Bösen aus dem Schwarz-Weiß-Schema zu lösen. Was für ein Verbrechen! Es ist nicht nur das legitime Recht von Literatur, auch gegen gängige Moralvorstellungen zu erzählen, mitunter ist es sogar ihre Pflicht, solche Moralvorstellungen zu erschüttern. Hier greift nun Capote – anders als bei »Frühstück bei Tiffany« – ein wirklich großes Thema an: Das Böse ist eben nicht einfach das ausmerzbare Andere, es ist integraler Bestandteil des Menschlichen. Will man das nicht wahrhaben, muss man Märchen lesen und große Romane meiden.
Am 31. August 2009 um 23:50 Uhr
Myers, finde ich, argumentiert grandios. Man sehe sich nur mal den „moralgeschwängerten“ Schluss an, in dem er den Verlust des Bösen durch den Verlust des Begriffs des „Bösen“ (es ist ein Verlust, der durch falschen Gebrauch stattfindet) bedauert. Und man sehe sich mal das letzte Zitat an, das Myers anführt. Was wird da als das Böse definiert? Böse wird da genannt, „kaum einen Unterschied zwischen Niggern und Indianern“ zu machen.
Da tun sich in der Tat Abgründe auf…
Am 1. September 2009 um 00:04 Uhr
Myers, lieber Markus, zitiert hier Capote, jenen Autor, der seiner Meinung nach über die Abgründe, die sich da auftun, hinwegtäuschen wollte. Wie geht das zusammen?
Am 1. September 2009 um 00:24 Uhr
Nun, Capote sympathisiert mit dem, der diese „Definition“ des Bösen liefert und widerspricht ihm offenbar nicht. (Ich muss hier aber zugleich einräumen, dass ich „Kaltblütig“ nicht gelesen habe. So zielt mein „Lob“ denn auch auf Myers, der seine Argumente mit sehr geschickt gewählten Zitaten belegt. Es ist aber auch klar, dass Myers polemisch argumentiert. Die Polemik selektiert und verschweigt, was ihre Argumente hinterfragen oder abschwächen könnte.)
Am 1. September 2009 um 01:05 Uhr
Du meinst also, ich habe die Pointe verschlafen? Ich verstehe sie auch nach Deinem ersten Kommentar noch nicht. Vielleicht ist der Begriff des »Bösen« in mir schon zu verwässert.
Am 1. September 2009 um 10:28 Uhr
Ich bin jetzt selber etwas unsicher geworden… Aber so wie ich es verstanden habe, das ging so: Da beklagt sich ein Halbblutindianer darüber, dass die Schwester keinen Unterschied macht zwischen einem Indianer und einem Nigger und nennt das „Böse“. Die Haltung des Halbbluts ist natürlich rassistisch, aber nicht Rassismus ist für ihn „böse“ sondern das, was für ihn Gleichmacherei, für andere aber ein Menschenrecht ist. Bush hat – mit seiner Achse des Bösen – das Böse auf sehr ähnliche Weise missbraucht.
Am 3. September 2009 um 14:23 Uhr
[…] A response to D. G. Myers’ “Remembering Truman Capote” (»» Deutsche Version lesen) […]